Volltext: Zweiter Jahrgang (2(1921))

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Um lebensfähig zu sein, muß ein Ding in 
seiner Forjn existieren. Es ist paradox zu be^ 
haupten, daß ein Kunstwerk einzig von der Sen* 
sibilität des Künstlers ausgehe. Großer Irrtum. 
Jedes Werk der Kunst, aus der ältesten Zeit, 
fußt auf immanent geometrischen Gesetzen. 
Daraus erklärt sich der Bankrott der impres 
sionistischen Formel von der Perspektive. Wer 
nur nach Perspektive malt, malt falsch: denn 
diese ist nur eine zufällige, einseitige Erschein 
nung eines dreidimensionalen Wesens. Schon 
der Kubismus hatte diese Wahrheit erkannt. 
Was verlangt nun der Purist? 
»Das Ziel der Kunst ist, den Beschauer in 
einen mathematischen Zustand, d. h. in einen 
Zustand höherer Ordnung zu versetzen.« 
Mathematisch! Das Kunstwerk ist für ihn ein 
Ausfluß des Geistes, nicht der Sinne. Halt, 
nicht aufgebraust, Expressionist. Auch die Sinne 
haben ihren Teil, aber in puristischer Ordnung. 
Ein Gemälde besteht aus Farben. Diese rea* 
gieren in einer natürlichen, vorbestimmten Weise 
auf unser Auge. Von großer Wichtigkeit ist 
das Format. Ozenfant glaubt, daß es ein be* 
sonderes Standardformat gibt, das dem mensch* 
liehen Auge eignet, und seine sämtlichen Ge 
mälde sind in demselben gebaut. 
Wir geben gleichzeitig einige Reproduktionen 
von Ozenfant und Jeanneret, die ihre Theorie 
bis ins einzelne illustrieren. Fast immer ist das 
gleiche Standard*Objekt gewählt <da es nicht 
auf den äußeren Gegenstand, sondern die innere 
Form ankommt!), und nur dem Kenner erweisen 
sich die zarten Variationen als grundändernd 
für die verschiedenen Konstruktionen. 
Diese beiden Künstler treiben aber die Praxis 
noch viel weiter: sie leben konsequent nach diesem 
modernen Gefühl des mechanischen Gesetzes, 
und sind unsentimental genug, es sich einzuge 
stehen. Sie erleben die moderne Welt in ihrer 
ganzen Intensität, und Auto, Äroplan, Dampf 
schiff, Werft sind ihnen Naturschönheit. Die 
Zeitschrift »L'Esprit Nouveau«, die sie redi 
gieren, stellt ferner in vollendetster Weise ihr 
ganzes Denken und Trachten dar, indem die 
fernsten Elemente des Lebens und die tiefsten 
Erkenntnisse der Künste Seite an Seite, in veiler 
Harmonie, sich auswirken. 
Paris. Ivan Goll. 
HOLLAND 
Domburger Graphikausstellung 
Die heutige Domburger Ausstellung weckt Er* 
innerungen an die Zeit vor dem Kriege, wo die 
deutschen Besucher dieses hübschen Nordseebades 
ein reges Interesse zeigten für die Kunst, die da zur 
Schaustellung kam. Es bedeutete damals ein Er* 
lebnis im holländischen Kunstleben, wenn diese Aus* 
Stellungen eröffnet wurden. Die schwierigen Verhält* 
nisse der Kriegsjahre machten sich dort auch geltend,- 
allmählich senkte sich der Gehalt, aber heute scheint 
es, daß man zu neuem Leben erwacht ist. Waren es 
vorher überwiegend Gemälde, die zur Schaustellung 
kamen, so sind es jetzt nur graphische Arbeiten, die 
hier zusammengebracht sind, unter denen überwiegend 
Holzschnitte das Interesse in Anspruch nehmen. Es 
zeigt sich damit, daß nicht nur in Deutschland viele 
Künstler sich dieser Technik für größere Werke zu* 
gewandt haben, sondern auch in Holland und Belgien 
Bedeutendes und Wertvolles darin erreicht ist. Voran 
geht in dieser Beziehung die Holländerin Jacoba 
van Heemskerck, deren Arbeiten ja schon seit Jahren 
in verschiedenen deutschen Städten zur Ausstellung 
gelangten und große Anerkennung fanden. Sie ist 
hier mit einer Anzahl, teils farbiger, teils schwarz* 
weißer Blätter vertreten, aus welchen sich die Monu* 
mentalität der Komposition und die sichere Beherr* 
schung des Technischen ersehen läßt. In einer Repro* 
duktion bringen wir einen Holzschnitt des belgischen 
Künstlers Jean Cantre, der seine Motive in großen 
Flächen aufbaut und damit eine starke Wirkung er* 
reicht. Ganz verschieden in der Auffassung, aber 
nicht weniger wirkungsvoll sind die Linoleums seines 
Landesmannes F. Jespers. Die Belgier sind weiter 
vertreten durch Jean Codex, Maserei, Gustave de 
Smet, Joseph Cantre, Jongert, besonders Jean Codex 
hat in seinem »Le Train« den Eindruck einer Kraft, 
vor der alles zu weichen hat, mit einfachen Mitteln 
ausgedrückt. 
Bemerkenswert ist ein Blatt des Holländers Edeman 
»Das Pferd«. Veldheer schickte farbige Holzschnitte,
	        
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