282
Um lebensfähig zu sein, muß ein Ding in
seiner Forjn existieren. Es ist paradox zu be^
haupten, daß ein Kunstwerk einzig von der Sen*
sibilität des Künstlers ausgehe. Großer Irrtum.
Jedes Werk der Kunst, aus der ältesten Zeit,
fußt auf immanent geometrischen Gesetzen.
Daraus erklärt sich der Bankrott der impres
sionistischen Formel von der Perspektive. Wer
nur nach Perspektive malt, malt falsch: denn
diese ist nur eine zufällige, einseitige Erschein
nung eines dreidimensionalen Wesens. Schon
der Kubismus hatte diese Wahrheit erkannt.
Was verlangt nun der Purist?
»Das Ziel der Kunst ist, den Beschauer in
einen mathematischen Zustand, d. h. in einen
Zustand höherer Ordnung zu versetzen.«
Mathematisch! Das Kunstwerk ist für ihn ein
Ausfluß des Geistes, nicht der Sinne. Halt,
nicht aufgebraust, Expressionist. Auch die Sinne
haben ihren Teil, aber in puristischer Ordnung.
Ein Gemälde besteht aus Farben. Diese rea*
gieren in einer natürlichen, vorbestimmten Weise
auf unser Auge. Von großer Wichtigkeit ist
das Format. Ozenfant glaubt, daß es ein be*
sonderes Standardformat gibt, das dem mensch*
liehen Auge eignet, und seine sämtlichen Ge
mälde sind in demselben gebaut.
Wir geben gleichzeitig einige Reproduktionen
von Ozenfant und Jeanneret, die ihre Theorie
bis ins einzelne illustrieren. Fast immer ist das
gleiche Standard*Objekt gewählt <da es nicht
auf den äußeren Gegenstand, sondern die innere
Form ankommt!), und nur dem Kenner erweisen
sich die zarten Variationen als grundändernd
für die verschiedenen Konstruktionen.
Diese beiden Künstler treiben aber die Praxis
noch viel weiter: sie leben konsequent nach diesem
modernen Gefühl des mechanischen Gesetzes,
und sind unsentimental genug, es sich einzuge
stehen. Sie erleben die moderne Welt in ihrer
ganzen Intensität, und Auto, Äroplan, Dampf
schiff, Werft sind ihnen Naturschönheit. Die
Zeitschrift »L'Esprit Nouveau«, die sie redi
gieren, stellt ferner in vollendetster Weise ihr
ganzes Denken und Trachten dar, indem die
fernsten Elemente des Lebens und die tiefsten
Erkenntnisse der Künste Seite an Seite, in veiler
Harmonie, sich auswirken.
Paris. Ivan Goll.
HOLLAND
Domburger Graphikausstellung
Die heutige Domburger Ausstellung weckt Er*
innerungen an die Zeit vor dem Kriege, wo die
deutschen Besucher dieses hübschen Nordseebades
ein reges Interesse zeigten für die Kunst, die da zur
Schaustellung kam. Es bedeutete damals ein Er*
lebnis im holländischen Kunstleben, wenn diese Aus*
Stellungen eröffnet wurden. Die schwierigen Verhält*
nisse der Kriegsjahre machten sich dort auch geltend,-
allmählich senkte sich der Gehalt, aber heute scheint
es, daß man zu neuem Leben erwacht ist. Waren es
vorher überwiegend Gemälde, die zur Schaustellung
kamen, so sind es jetzt nur graphische Arbeiten, die
hier zusammengebracht sind, unter denen überwiegend
Holzschnitte das Interesse in Anspruch nehmen. Es
zeigt sich damit, daß nicht nur in Deutschland viele
Künstler sich dieser Technik für größere Werke zu*
gewandt haben, sondern auch in Holland und Belgien
Bedeutendes und Wertvolles darin erreicht ist. Voran
geht in dieser Beziehung die Holländerin Jacoba
van Heemskerck, deren Arbeiten ja schon seit Jahren
in verschiedenen deutschen Städten zur Ausstellung
gelangten und große Anerkennung fanden. Sie ist
hier mit einer Anzahl, teils farbiger, teils schwarz*
weißer Blätter vertreten, aus welchen sich die Monu*
mentalität der Komposition und die sichere Beherr*
schung des Technischen ersehen läßt. In einer Repro*
duktion bringen wir einen Holzschnitt des belgischen
Künstlers Jean Cantre, der seine Motive in großen
Flächen aufbaut und damit eine starke Wirkung er*
reicht. Ganz verschieden in der Auffassung, aber
nicht weniger wirkungsvoll sind die Linoleums seines
Landesmannes F. Jespers. Die Belgier sind weiter
vertreten durch Jean Codex, Maserei, Gustave de
Smet, Joseph Cantre, Jongert, besonders Jean Codex
hat in seinem »Le Train« den Eindruck einer Kraft,
vor der alles zu weichen hat, mit einfachen Mitteln
ausgedrückt.
Bemerkenswert ist ein Blatt des Holländers Edeman
»Das Pferd«. Veldheer schickte farbige Holzschnitte,