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atmende, unendliche Fließen der Himmelsluft
gegenüber dem massigen, bewegungslosen Er
denkloß. Auch in Holland will darum die Kunst
mehr als nur schön und lieblich und seltsam sein
und wenn ihr auch grobe moralische Zweck
bestrebungen fernliegen, so waltet doch aufs
stärkste in ihr die Absicht vor, wieder ihn, den
Menschen, zu gewinnen.
Die Werke des holländischen Impressionismus
<Haagsche Schule) suchten den Menschen für ein
Georg Kars »Stilleben mit Weintrauben« <Gem.)
kurzes beglücktes Hinhorchen, ein plötzliches
genießerisches Stillehalten zu gewinnen,- was
sie zu bieten hatten, waren Feinschmeckereien,
Stimmungskitzel. Die Nachfolger dieser Augen=
reizkunst verlangen statt dessen eine Andacht,
die nach der rein ästhetischen Seite möglichen
falls weniger beglückt, weniger leicht und ge
lassen stimmt. Sie wollen den Menschen über
seine nur ästhetisdie Erregbarkeit hinaus, über
seine Landsmannschaft, seine Standeszugehörig
keit, über seine Schulüberzeugungen hinaus an
seinem letzten, unbenennbaren Erschütterungs^
vermögen packen, nicht um ihn zu verblüffen,
nicht um ihm Grauen einzujagen, nicht um ihn
noch einsamer zu machen, sondern um die Selbst^
zucht von ihm zu schälen und ihn heranzuführen
an das Gemeinschaftliche und Allmenschliche. In
der Kunst soll der Mensch wieder lernen, sich
weniger mit Denkvorwänden und abgezogenen
Fragestellungen als mit sich selber auseinander
zu setzen, in der Kunst weniger gegen Zeit=
begriffe und Gelegenheitsbedrängnisse als gegen
sich selber zum ewigen Aufruhre anzurücken.
Die jungen holländischen Künstler streben also
mit ihren Werken nicht hinweg vom Leben, son^
dern in das Leben hinein. Sie wollen nicht für
leerstehende Mauerwände und für die gespickten
Börsen wohlwollender Gönner malen, sondern
für das innere Bedürfnis der Allgemeinheit. Sie
suchen diesen Anschluß nicht unter einem An
reize von romantischer Neugier oder um sich
dem neuen Herrn, die Masse, geneigt zu stim=
men, sondern als Schaffende, die sich dem Näch
sten verpflichtet fühlen. Sie wissen, daß die Um=
Wandlung der Wirklichkeit, die sie auf ihren BiL
dern vollziehen oder vollzogen haben, in der
Erneuerung der werktätigen, taggewissen Wirk^
lichkeit ihre Fortsetzung finden muß,* für ihr
Werk wünschen sie mit ihrer Person einzu=
stehen. Zeugnisse wahrhaftiger und drangvoller
Geisteserfahrungen sollen die Werke, darin sich
der Abbau der Naturformen spiegelt, mit ihrer
Macht in das Ich des Beschauers hinübergreifen,
damit auch dieser sich mühe, dem Chaos zu ent
kommen und sich zu einer seelischen Form auf
zubauen, die um ihrer selbstwillen Überzeugung,
Gültigkeit und Daseinsruhe ausstrahlt.
Nur wenige der jungholländischen Künstler
sind heute allbereits im Besitze breiter und öffent
licher Anerkennung. Die Geistigkeit, die sie
verkörpern, lebt und wirkt sich zwar in allen
Berufskreisen des Landes aus, aber noch immer
fragt der Geschmack des kauflustigen Bürger
tums vor einer Leinwand zuerst nach deren
Naturähnlichkeit. Ein jeder dieser neuen Maler
hat eine Zeitlang der naturalistischen Arbeits^
Übung gehuldigt und ein jeder hat den Schritt,
den er von dem landesüblichen Kunstbegriffe
wegtat, durch Vereinsamung und öfters durch
die grimmigste wirtschaftliche Not bezahlen