Volltext: Zweiter Jahrgang (2(1921))

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auch als Dichter. Seine jeder Logik und Psychologie 
trotzenden Gedickte grenzen ans Dadaistische. —■ 
Czyzewski weiß, daß der heutige schwer ums Dasein 
kämpfende Mensch viel zu wenig Zeit hat, um große 
»lyrische« Werke zu betrachten. Der entgeistigte und 
durch die kapitälistische Wirtschaft mechanisierte 
Mensch will kurze, wilde Eindrücke und diese soll 
ihm die neue Kunst, die mit Abkürzungen arbeitet, 
geben. Manche Künstler geben sich der Illusion hin, 
daß dies der Weg zur Demokratisierung der Kunst 
sei. Wir sehen dagegen in jeder echten Kunst Wur® 
zeln einer neuen aristokratischen Gesinnung, weil 
jede neue und echte Kunst exklusiv, einsam, werte® 
schaffend, revolutionär ist. Von Einflüssen kann man 
bei Czyzewski überhaupt nicht sprechen. Seinen 
Geschmack bildete er an französischen Meistern und 
an den unzähligen polnischen Glasprimitiven. Er 
schaltet ganz bewußt alles Literaturhafte, Inhaltliche 
aus und haben wir es hier mit einem metaphysischen 
Kosmos, mit einem eigenen künstlerischen Bereich zu 
tun, das uns ganz eigenartig durch Formen, Farben 
und Konstruktion anmutet. Er malt Stilleben, deren 
Dämonie manchmal niederdrückt. Manchmal wiede® 
rum sind sie der Ausdruck reinster Poesie oder primi® 
tivster künstlerischer Mittel, ganz naiv und flach. — 
Obwohl ihn Farbprobleme absorbieren, malt er ei® 
gentlich nicht, sondern konstruiert. Er nennt auch 
meistens seine Bilder »Formkompositionen« und das 
besagt bei diesem Künstler fast alles. Seine »Ma® 
donna« ist konstruktiv betrachtet ein Künstlerwerk 
par excellence. Auf der Suche nach neuen Formen 
verläßt er die einflächige Malerei und schafft — viel® 
leicht zum erstenmal in der Geschichte der plastischen 
Künste — vielflächige Kompositionen, die 
genetisch zwischen der Malerei und Skulptur stehen. 
»Salome«, Landschaft mit Sonne, »Kopfstudie«, 
Formenkomposition I und II sind historische Doku® 
mente in der Entwicklung neuer Kunst. Es steckt 
in ihnen etwas Grausames, Apokalyptisches, ein 
Kampf aller Elemente. Der Künstler äußerte sich 
folgendermaßen über seine Kompositionen: Ich kon® 
struiere einige asymetrische Flächen und verbinde sie 
miteinander. Ich will damit ein kompositionelles Ver» 
hältnis der diese Flächen schneidenden Linien sowie 
das Verhältnis der Flächen zu einander geben. Dies 
ist eine Zerstörung der gewöhnlichen Rhytmik ein® 
flächiger und symmetrischer Bilder <die fast immer 
Quadrate und Rechtecke sind, weshalb sie monoton 
und unrhytmisch wirken). An Stelle des Bildes gebe 
ich Komposition und das Verhältnis asymmetrischer 
Flächen zueinander, die eine Art »architektonischer« 
Rhytmik für die sie ausfüllenden Linien bilden. 
Henryk Gotlib kam zum Formismus, wie er 
sich selbst äußerte, von der Architektur. Sein Talent 
entzündet sich an großen kompakten Massen, die er 
mit Vorliebe gestaltet. Er strebt zur Ganzheit, zur 
H. Gotlib St. Marienkirche in Moskau
	        
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