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auch als Dichter. Seine jeder Logik und Psychologie
trotzenden Gedickte grenzen ans Dadaistische. —■
Czyzewski weiß, daß der heutige schwer ums Dasein
kämpfende Mensch viel zu wenig Zeit hat, um große
»lyrische« Werke zu betrachten. Der entgeistigte und
durch die kapitälistische Wirtschaft mechanisierte
Mensch will kurze, wilde Eindrücke und diese soll
ihm die neue Kunst, die mit Abkürzungen arbeitet,
geben. Manche Künstler geben sich der Illusion hin,
daß dies der Weg zur Demokratisierung der Kunst
sei. Wir sehen dagegen in jeder echten Kunst Wur®
zeln einer neuen aristokratischen Gesinnung, weil
jede neue und echte Kunst exklusiv, einsam, werte®
schaffend, revolutionär ist. Von Einflüssen kann man
bei Czyzewski überhaupt nicht sprechen. Seinen
Geschmack bildete er an französischen Meistern und
an den unzähligen polnischen Glasprimitiven. Er
schaltet ganz bewußt alles Literaturhafte, Inhaltliche
aus und haben wir es hier mit einem metaphysischen
Kosmos, mit einem eigenen künstlerischen Bereich zu
tun, das uns ganz eigenartig durch Formen, Farben
und Konstruktion anmutet. Er malt Stilleben, deren
Dämonie manchmal niederdrückt. Manchmal wiede®
rum sind sie der Ausdruck reinster Poesie oder primi®
tivster künstlerischer Mittel, ganz naiv und flach. —
Obwohl ihn Farbprobleme absorbieren, malt er ei®
gentlich nicht, sondern konstruiert. Er nennt auch
meistens seine Bilder »Formkompositionen« und das
besagt bei diesem Künstler fast alles. Seine »Ma®
donna« ist konstruktiv betrachtet ein Künstlerwerk
par excellence. Auf der Suche nach neuen Formen
verläßt er die einflächige Malerei und schafft — viel®
leicht zum erstenmal in der Geschichte der plastischen
Künste — vielflächige Kompositionen, die
genetisch zwischen der Malerei und Skulptur stehen.
»Salome«, Landschaft mit Sonne, »Kopfstudie«,
Formenkomposition I und II sind historische Doku®
mente in der Entwicklung neuer Kunst. Es steckt
in ihnen etwas Grausames, Apokalyptisches, ein
Kampf aller Elemente. Der Künstler äußerte sich
folgendermaßen über seine Kompositionen: Ich kon®
struiere einige asymetrische Flächen und verbinde sie
miteinander. Ich will damit ein kompositionelles Ver»
hältnis der diese Flächen schneidenden Linien sowie
das Verhältnis der Flächen zu einander geben. Dies
ist eine Zerstörung der gewöhnlichen Rhytmik ein®
flächiger und symmetrischer Bilder <die fast immer
Quadrate und Rechtecke sind, weshalb sie monoton
und unrhytmisch wirken). An Stelle des Bildes gebe
ich Komposition und das Verhältnis asymmetrischer
Flächen zueinander, die eine Art »architektonischer«
Rhytmik für die sie ausfüllenden Linien bilden.
Henryk Gotlib kam zum Formismus, wie er
sich selbst äußerte, von der Architektur. Sein Talent
entzündet sich an großen kompakten Massen, die er
mit Vorliebe gestaltet. Er strebt zur Ganzheit, zur
H. Gotlib St. Marienkirche in Moskau