288
und bereitet jetzt eine deutsche Arbeit über die neue
polnische Kunst vor. Er ist auch Organisator der
ganzen Bewegung in Polen und redigiert mit Czy*
zewski die Zeitschrift »Formisten«.
Stan. Ign. Witkiewicz gehört zu den genialsten
Künstlern und Menschen des neuen Jahrhunderts. In
einem künstlerischen Milieu erzogen <sein Vater war
berühmter impressionistischer Maler und hervor*
ragender Kunstkritiker), wird er schon in seiner früh*
esten Jugend Feind dessen, was allgemein als Kunst
betrachtet wird und schreitet seinen eigenen Weg.
Ich habe einige hundert Bilder und einige hundert
Photographien seiner Werke gesehen, die in der Zeit
1906—1921 entstanden sind. Schon in der ersten
Epoche seines Schaffens entstehen ganz eigenartige
Bilder und Kohlenzeichnungen, die darauf ausgehen,
einen neuen Stil zu schaffen. Charakteristisch für
diese Epoche ist j'edoch das Literaturhafte und Anek*
dotische in seinen Bildern. Die tragischsten mensch*
liehen Situationen werden hier mit einer merkwürdigen
Heiterkeit und Lächerlichkeit behandelt. Diese Zeich*
nungen sind typische Grotesken und Zeitdenkmäler
in einem höheren Sinne. Einerseits finden wir in ihnen
das Verhältnis des Künstlers zur Umwelt, anderseits
wiederum ahnen wir schon hier das Typische und
Originale seines Schaffens. Von Einflüssen kann
man hier schwer sprechen,- seine Kunst ist so per*
sönlich und eigenartig, wie z. B. die Kunst Gauguins
oder Kandinskys. — Im Jahre 1913 geht der Künstler,
der auch Kunsttheoretiker, Dramatiker, Philosoph
und Mathematiker
ist, nach Australien,
Nord*Afrika und
kommt über denBal*
kan nach Rußland.
Innerhalb drei Jahren
entstehen dort mehr
als lOOOBilder. 1918
kehrt er zurück und
schreibt sein Buch
»Neue Formen in
der Malerei«, wo er
das Credo seines
Schaffens gibt, sowie
15 Dramen,®) ästhe*
®> Einige seiner
Dramen hat die Wie
ner Expressionistin,
Lilli Marmorek, ins
Deutsche übersetzt —
sie sollen demnächst in
Wien erscheinen. —
Im Juni gelangte
tische Studien und eine große philosophische Arbeit
(vieles noch im Manuskript leider).
Die Kunst Witkiewiczs hat mit der Wirklichkeit
nichts gemeinsames. Sie stellt eine eigene Welt dar.
Vor allem ist sie Rückkehr zur eigentlichen Malerei,
zur »reinenForm«, d. h. zur Konstruktion des Ganzen,
zur Einheit in der Vielheit. Das Zentrale der Kon*
struktion ist die »Richtungsspannung« und die Inten*
sivierung der Farbe (»koloristische Perversion«). Der
Künstler variert nicht die Wirklichkeit, sondern schafft
»Bilder«, die nur damals Kunstwerke sind, wenn sie
ein metaphysisches Gefühl hervorrufen. Er schaltet
ganz bewußt jeden Inhalt aus, weil es keinen Inhalt
neben der Form gibt. Der Inhalt kann nur ein Eie*
ment in der reinen Form sein und nur damals ist er
für die Kunst etwas wesentliches. Es bleiben daher
noch Linie und Farbe. Seine letzten Werke (»Der
kosmische Nebel«, »Kreuzende Linien« 1921) sind
geniale Abstrakta, potenzierte reine Form. Eine Art
eines durchaus individuellen Kandinsky'ismus. Trotz
der Ausschaltung des »Inhaltes«, gibt der Künstler
doch in seinen kühnen Würfen (innere Gebilde und
Träume, die mit elementarer Kraft auf die Leinwand
herausgeworfen werden) sein Verhältnis zur Welt
wieder. Es ist eine tragische, einsame Seele, die
überall elementare Naturkräfte sieht, die den
schwachen Menschen zerstören wollen. Das Leben
ist schlecht, es peinigt den Menschen, macht ihn zur
Maschine, zum Monstrum. Aber das Essentielle
seiner Kunst bleibt doch die reine Form, die ihren
eigenen Gesetzen
nachgeht, und die
schließlich alle gro*
ßen Künstler hatten
(Boticcelli, Gau*
guin).
Und so schließen
wir die Reihe der
in Galizien schaffen*
den Künstler. —
Über dieWarschau»
er werden wir ein an*
deres Mal berichten.
Julius Rotters*
mann*Krakau.
eines seiner Dramen
in Krakau zur Ur
aufführung und rief
eine sehr heftige De
batte hervor. Es ist
ein kühnes Experi
ment im Rahmen der
»reinen Form«.
Jan Cantre Morgenfrühe (Holzschnitt)