Full text: Zweiter Jahrgang (2(1921))

gewandelt. Der äußere sinnfällige Schein, die kleinen Schönheiten der Natur werden zum Erlebnis 
und der Glaube an die großen und ewigen Kräfte, vor denen der Einzelne versinkt, ist nur mehr 
Ahnung oder Spekulation. 
Ararat und Alägös werden zu Symbolen ewiger Erneuerung und ewigen Bleibens. Aus 
ihrem Umkreis ersprießt verschieden geartetes Menschentum als Träger verschiedenartiger 
Kunst. 
Als kristallinische Masse stehen die Bauten auf der Fläche des Hochlandes,- oder sie wachsen 
in geschlossener Silhouette aus den Dachterrassen des Dorfes, stehen auch einsam in den steinigen 
Schluchten. Die weite Ebene, die Höhe der Schluchten macht menschliche Dimensionen zunichte. 
Selbst Stein vom Stein des Landes stehen die Bauten grau in grau. Und man müßte meinen, 
das Menschenwerk ver 
sinke in den Maßen und 
der Farbe der Natur. 
Und doch sind sie klar 
dem Auge faßbar und 
wetteifern mit der um» 
gebenden Größe. Denn 
hier werden nicht die 
Maße des Menschen 
die Glieder eines Orga 
nismus geltend gemacht, 
noch aber auch die bloße 
Riesenhaftigkeit der 
Massen,- sie würden in 
dieser Landschaft ver 
schwinden. Nur die ab 
strakten Gesetze des 
Kristalls können hier 
wirksam werden, und 
in kristallischen Massen 
baut sich der Dom: 
Glatte, ungeteilte Flä 
chen, streng abgesetzte 
Kanten, klar gezeich^ 
nete Gesimse und spitze 
Kars, Kathedrale 
Dächer im Aufriß,- stern= 
förmig, aus dem Qua= 
drat oder Rund ent^ 
wickelt, allseitig gleich 
gerichtet im Grundriß: 
eine in sich begrenzte 
abstrakte Gesetzmäßig 
keit inmitten der gewal 
tigen Landschaft. Für 
die Ewigkeit sind die 
Mauern errichtet, im 
Stein des Landes gegos^ 
sen, und kaum das Land 
selbst, wenn es die vuL 
kanische Macht erschüt 
tert, kann sie zerstören. 
Dort aber die Mo 
schee, der Palast, einge 
bettet in das Grün der 
Gärten wie die ganze 
Stadt, und breit hinge 
lagert wie die Ebene. 
Nur die Kuppeln und 
Minaretts ragen darüber 
hinaus als äußerliche 
Zeichen geistlicher oder weltlicher Macht, wie diese vergänglich und wechselnd in den Formen. 
Durch Prunk wird der Reichtum der Umgebung zu übertreffen gesucht. In Blau, Rot und Grün 
glänzen die Fliesen der hohen Portale und Bedachungen. Fliesen, Gemälde und Ornamente 
bedecken die Wände im Innern. Aber der Prunk ist ein äußerlicher, ist nur Verkleidung ver 
gänglicher Ziegelmauern und des Holzwerks der Decken, kaum wenige Jahrhunderte dauernd 
und dem Verfall aus sich selbst oder der Zerstörung durch die wechselnden Herrschaften 
anheimgegeben. Aber wie sich die Natur hier immer wieder zu neuem Reichtum gebiert, so 
ersteht immer wieder neu der Reichtum der Kunst. Kunst und Natur verschmelzen ineinander. 
Das freie Wachstum der Pflanzen wird in den Gärten in die architektonischen Gesetze der zeiligen 
Alleen und der abgezirkelten Beete, die Wasserläufe in geradlinige Teiche und Kanäle gebannt, 
die strenge Geradlinigkeit der Gebäude in Bogen und Kuppeln zu Kurven aufgelöst, ihre kubischen 
Formen durchbrochen, die abstrakten Wände von den Blumenranken des Ornaments umrankt.
	        
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