Volltext: Zweiter Jahrgang (2(1921))

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Ableitung oder sichtbare Verstrebung. Ihren Gipfel erreicht diese abstrakte Komponente der 
Baugesinnung in dem Zellenwerk der Decken und Gesimse. Kubische Körper bauen sich in 
streng gewinkelten Flächen übereinander, an sich abstrakte Kristallgebilde und durch die durchs 
gehende Spiegelverkleidung ins Irrationale gehoben. Kubistisch-kristallinisch auch die Umran^ 
düng der Springbrunnen in den Hallen, geometrisch-überorganisch auch das unendlich wieder* 
holende Muster des Gitterwerks der Glaswände. 
Und doch ist all diese Abstraktion, all diese Übergesetzlichkeit kaum fühlbar, der Mikrokosmos 
einer üppigen Natur überspinnt das Anorganische. Hier sind es Blumensträuße, dort Sträucher 
mit Vögeln, die in lebensvollster Darstellung die Panneaux füllen, oder die ganze Blütenpracht 
von Rosen, Nelken, Tulpen und Violen ist über die Decke gebreitet. Und doch immer wieder 
der Kampf des Abstrakten mit dem Organischen. So naturwahr die Einzelheit, so geregelt das 
Ganze,- Symmetrie und Gegenständigkeit bannen die Naturerscheinungen in die Fläche, arabeske 
Führungen mischen sich unter das Vegetative. Anderseits wieder erhält der geometrische Flächen 
zierrat der Bogenstirnen und Laibungen durch Rundführungen und Verknotungen den Charakter 
eines vegetabilen Gerankes. Und selbst dort, wo sich das Organische zur Darstellung der mensch 
lichen Figur verdichtet, wo das persische Naturempfinden selbst europäischer Modellierung und 
landschaftlicher Vertiefung Aufnahme gestattete, findet sich daneben die kubistische Aufteilung 
der Figuren, kantige Bindung der Gliedmassen, überpersönliche Gesetzmäßigkeit statt individuelle 
Illusion. Kaum irgendwo ist das Nebeneinander zweier so verschiedener künstlerischer Geistig 
keiten so zu einer Einheit verschmolzen, wie hier in diesen persisch=türkischen Palästen und 
Moscheen,- aber beide Richtungen haben dabei ihre Reinheit eingebüßt, das Naturempfinden wurde 
zum Ornament, die einfache anorganische Gesetzmäßigkeit zur wuchernden Spekulation. Der 
Wechsel des Lebens schafft das Nebeneinander der Extreme und gebiert aus deren Durchdringung 
ein Neues, Wandelbares. 
Wo liegt das Gültige? — Ist es das Beharren im Glauben, das Festhalten an überpersönlichen 
Gesetzen, das sich Bescheiden im Makrokosmos, oder ist es der ewige Wandel, das sich Erneuern, 
das persönlich liebevolle Eindringen in die Welt der kleinen Schönheiten, oder die objektive Reflex 
xion des Verstandes? Ist es Schicksal, dem wir unterworfen sind, oder Kausalität, nach der wir 
Kleinen die Dinge ordnen? Wir suchen Asien, weil wir dort die großen Gesetze ahnen, und doch 
ringt in uns das Persönliche nach Ausdruck. Aber auch in Asien gilt die Frage: Beharrung oder 
Wandlung? — Der Mensch ist an die Natur gebunden,- ob er in ihr die ewig bleibenden Gesetze 
fühlt oder Wandel und Erneuerung erkennen will, gilt gleich: Es sind nur Formen des Lebens 
und Erlebens: Asien oder Europa, Alägös oder Ararat. 
Geisterfeste im buddhistischen Birma 
Völkerkundliche Notizen aus Oberbirma Nr. VIII) 
Von L. SCHERMAN, München 
Die Abrundung des britisch*indischen Kolonialbesitzes nach Osten zu ist den Engländern mit Verhältnis* 
mäßig leichter Mühe gelungen, und seitdem im Jahre 1885 mit der Absetzung des jämmerlich unfähigen 
birmanischen Herrschers diesem politischen Bau der Schlußstein eingefügt wurde und das ganze Birma sich 
an das große indische Kaiserreich anlehnte, hat die indochinesische Grenzzone der britischen Verwaltung keine 
besonders schwierigen Probleme zu lösen gegeben, Vorübergehende Rivalitäten mit Frankreich um Siams 
und der angrenzenden französischen Sphäre willen, Strafexpeditionen, die etliche hundert englische und nicht 
viel mehr indische Soldaten aufboten, um unruhige Bergstämme an den Flanken Birmas zur Raison zu bringen 
— das alles waren Maßnahmen, die gegenüber der Tatkraft, mit der man das Verhalten der muhammedanischen 
Nachbarn im Nordwesten zu verfolgen gezwungen war, herzlich wenig bedeuteten.
	        
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