Heiliger Teidi am Galtapaß bei Jeypur, Rajputana
VON INDISCHER KUNST
VonE. GRATZL
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Aus drei »Zahmen Xenien« wissen wir, wie Goethe die Tempel und Bilder der Inder als Fratzen,
als Graus und als absurd abgelehnt hat. Das war seiner Art und seiner Kunstanschauung gemäß,
zum guten Teil auch in der Mangelhaftigkeit des Anschauungsmaterials begründet, das ihm zur
Verfügung stand. Aber auch noch in unserem Jahrhundert hat ein so feinfühlig das Religiöse in
aller Kunst nachempfindender und so wenig durch nationale Schranken gebundener Kenner wie
Heinrich von Geymüller <in seiner »Architektur und Religion«) schreiben können: »Wenn man
von den Werken der Hindus und Buddhisten zu den Bauten des Islam kommt, so ist es, als ob
man in eine reinere Luft, in ein Land froher Erlösung träte.«
Dem gegenüber hat die neue Kunstgesinnung, die wir unter dem Namen Expressionismus
zusammenfassen, mit leidenschaftlicher Begeisterung über die Formen von Raum und Zeit hin
als etwas Verwandtes jene aus tiefer religiöser Erregung geborenen Bauten und Bildwerke begrüßt,
mit denen die namenlosen indischen Künstler seit anderthalb Jahrtausenden ihr Land geschmüdct
und ihre Götter geehrt haben. So verschieden diese Urteile lauten, es ist das gute Recht und die
innere Pflicht jeder Zeit, den überkommenen Kunstbesitz durch neue Wertung sich neu zu erwerben.
Nur freilich, auf gründliche Kenntnis der Denkmäler selber muß sich diese Wertung stützen und
das ist unserer Zeit leichter gemacht als Goethe. Die fleißige, oft nüchterne und darum heute oft
etwas verächtlich abgetane Arbeit des »historischen« 19. Jahrhunderts hat uns, wie für andere
Gebiete auch für Indien den Schatz der Denkmäler gesammelt und gesichtet und ohne die sauere
Mühe seiner Vorgänger, kann, wer ästhetisch werten will, heute an seine Aufgabe gehen.
Was zu Goethes Spätzeit vorlag, war eine Anzahl Prachtwerke, lithographiert oder in Kupfer
gestochen, meist in bunter Reihenfolge enthaltend, was dem Herausgeber schön oder merkwürdig
dünkte. Erst die zweite Hälfte des Jahrhunderts bringt planmäßige Forschung, bezeichnend genug
durch die Arbeit zweier großer Dilettanten: J ames Fergusson und Alexander Cunningham.
Der erste <1808'—1886), erst Kaufmann, dann Pflanzer, hat in seiner Geschichte der indischen
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