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ZUM WERKE ALFRED KUBINS
Als er um die Jahrhundertwende seine graphische Tätigkeit begann und seelische Not in Kunst
transponierend, von quälenden Visionen sich befreite, ai beitete er als Zeichner mit nachtwand^
lerischer Unbewußtheit vor sich hin. Viele Blätter mißlangen — andere glückten — und wieder
andere gelangen so über alles Erwarten, als hätte ein Dämon seine Hand geführt. Es waren
stark getönte Federzeichnungen, die trotz einer zum Teil erstaunlichen Unzulänglichkeit in der
Bewältigung des Formalen mehr menschliche als künstlerische Erschütterungen des jungen Kubin
mit furchtbarer Eindringlichkeit sichtbar machten.
Es folgte eine Periode der technischen Versuche und Entdeckungen. Farbige Blätter entstanden,
auf denen in sagenhafter Landschaft urweltlidhe Geschöpfe oder völlig unbeschreibliche Gebilde
ein traumhaft verzaubertes Dasein führen. Laune des Zufalls oder Materials führte zu täglich
aufs neue überraschenden Resultaten.
Dieses behagliche Schaffen konnte auf die Dauer nicht befriedigen. Selbstgewählte Einsamkeit
auf dem Lande machte den Künstler erst zum Märtyrer und Genießer seiner Arbeit. Die Ent
fernung von allen literarischen Beeinflussungen und Sensationen der Stadt verinnerlichte seine
Kunst, Illustrationsaufträge zwangen zu diszipliniertem Vortrag. Die reine Federzeichnung wurde
zum einzigen Ausdrucksmittel, Durch unermüdliche Arbeit wurde die spröde Technik zum
gefügigen Instrument. Das Ziel wird erreicht mit letzter äußerer Freiheit jeder Seelenschwingung
zu folgen. Nicht mehr sind Wahngebilde und Traumgesicht ausschließlicher Inhalt seiner Blätter.
In liebgewordener, vertrauter Landschaft lebend, Tier und Pflanze verstehend, wird ihm jegliches
Ding zum Träger wunderlicher Geheimnisse. Körperlich von geringer Widerstandskraft, werden
die Nerven empfänglich für subtilste Reize. — Augenblicke übernatürlicher Klarheit leuchten
blitzartig auf und enthüllen »die andere Seite«. Menschen und Tiere, Straßen und Häuser sind
unheimlich vielsagend — es knistert von Geheimnissen in dem Fluidum, das sie umgibt.
Zu den reichen Eindrücken des Lebens in der Natur gesellten sich die aus Büchern gezogenen
Anregungen. Kubin wurde bald zum klassischen Illustrator aller seltsamen Literatur. Bis heute
sind es mehr als 30 Bücher, die er mit einer überwältigenden Fülle von erschütternden, spukhaften
oder drolligen Federzeichnungen geschmückt hat. Bücher, in denen übersinnliche Mächte Ge
schehnisse und Gestalten umwehen, in denen Menschen geplagt und verängstigt dem Verderben
entgegengehetzt werden. Dann aber wieder die Märchen, die an langsam verwitternden Orten
spielen, die Idyllen des leisen Bröckelns und Vermoderns, und schließlich die Phantasien von den
Ländern der Traumwelt, in denen noch keiner so geherrscht hat wie er.
Das Buch aber, das den tiefsten Einblick in seine Welt erschließt, hat er sich selber geschrieben:
»Die andere Seite«. Diese tiefsinnige Geschichte von der Stadt Perle mit dem ewigen Zwielicht,
in der die Bewohner ein sinnloses Leben fristen, bis sie in Schrecken untergehn, zeigt uns Alfred
Kubin als Dichter und unerschöpflichen Fabulierer, als Mystiker und Propheten.
Aber die Welt, die den Jüngling entsetzte, der den Keim der Verwesung in allem Lebendigen
spürte, schreckt ihn heute nicht mehr sehr. Die monumentalen Blätter, die er nun prachtvoll mit
Farben tönt, sprechen wohl von ihr mit ein wenig Abscheu, viel Mitleid und grimmigem Humor.
Das Wichtige liegt wo anders. Manchmal blickt man durch zerreißende Wolken in das ewige
Kreisen der Gestirne und manchmal tönt es wie Musik. Rolf von Hoerschelmann.