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es mir in den Sinn gekommen, in dieser Begabung die Grundlage zu meinem späteren Beruf zu
sehen. So reiste ich also aufs Geratewohl im Frühjahr 1898 nach München, mietete dort ein kleines
Zimmer und der verstorbene Sdhmkh>Reutte nahm mich in seine Privatschule auf. Dort zeichnete
ich sehr fleißig Akte und Köpfe und Schmidt blieb eigentlich mein einziger Lehrer, denn daß ich
nach zwei Jahren in die Zeichenklasse Gysis eintrat, geschah mehr auf Anregung meines Vaters,
denn er wünschte, daß ich eine staatliche Anstalt besuchen sollte. Ehe ich nach München kam,
hatte ich noch nie mit Bewußtsein ein gutes Kunstwerk gesehen. Heiligenbilder langweilten mich,
und ich konnte mir nicht vorstellen, daß man so etwas mit Lust machen könne. Als ich am zweiten
Tage meines Münchener Aufenthaltes zum ersten Male im Leben eine große Galerie, die Alte
Pinakothek, betrat, war das ein bedeutendes Ereignis für mich. Ich war wie aufgelöst vor Seligkeit
und Erstaunen und wagte nur auf den Fußspitzen von einem Saal in den andern zu gehen.
Über meine Studien in diesen ersten beiden Münchner Jahren läßt sich nicht viel sagen. Ich
arbeitete rechtschaffen wie alle anderen nach dem straffen System unseres vorzüglichen Lehrers, der
hauptsächlich auf das Erkennen der richtigen Maße und Verhältnisse und der Grundlage von
plastischer Anatomie beruhte,- verpönt war jeder Tonschwindel, jedes Abenteuern in Schatten=
effekten und Glanzlichtern.
Als ich nach zwei Jahren in die Gysis^Klasse der Akademie eingetreten war, fand ich auch den
Weg zu meiner eigentlichen künstlerischen Bestimmung. Aber nicht etwa auf der Akademie,
sondern auf andere Weise.
Ich hatte den ungeheuer starken Eindruck, den mein erster Besuch der Pinakothek auf mich
gemacht hatte, nicht vergessen, doch aus der unbegrenzten Hochachtung, die ich für die alten
Meister hegte, war eine tiefe Niedergeschlagenheit entsprungen. Ich war sehr bedrückt und ergab
mich, um den Katzenjammer zu ersticken, allen möglichen Ausschweifungen und Zerstreuungen,
worauf alles nur noch schlimmer und grenzenlos widerlich wurde, bis ich wieder bei meiner alten
Liebe, der Philosophie, Zuflucht suchte.
Ich geriet wieder an Schopenhauer und las in wenigen Tagen seine wichtigsten Werke mit
stürmischem Eifer. In meiner trostlosen Stimmung fand ich, daß die pessimistische Weltanschauung
die einzig richtige sei und schwelgte in diesen Ideen, wodurch meine allgemeine Unzufriedenheit
nur gefördert wurde. In toller vergrübelter Stimmung notierte ich meist auf einem Papier, im
Englischen Garten, allerhand philosophische Einfälle und schließlich ersann ich eine seltsame
Kosmogonie, die den Titel: »Der Sohn als Weltenwanderer« führte,- und mit den philosophischen
und poetischen Einzelaufführungen des »Sohnes als Weltenwanderer« füllte ich oft in nächtlichen
Stunden Dutzende von Heften. Als dieses hitzige Stadium sich erfüllt und ausgetobt hatte, bekam
ich eine starke Halsentzündung, die mich mehrere Tage ans Zimmer fesselte. In dieser Zeit
zeichnete ich viel und brachte spukhafte Einfälle und Karikaturen zu Papier, die so recht meiner
elenden Stimmung entsprachen.
Ich hatte damals noch einen Sonderfreund, den ich hier erwähnen muß, einen sehr intelligenten
Musiker. Als dieser mir einen Krankenbesuch machte, sah er auch meine neuen Blätter. Er sagte,
daß sie ihn in Manchem an Klingersche Radierungen erinnerten, welche er mir als Vorbilder auch
sehr empfahl. So kam es, daß ich gleich nach meiner Genesung das Kupferstich-Kabinett auf
suchte und den radierten Zyklus über den »Fund eines Handschuhs« sah. Sah und vor Wonne
zitterte. Mit noch übervollem Herzen schweifte ich in der Stadt umher und betrat abends ein
Variete, denn ich suchte eine gleichgültige und doch geräuschvolle Umgebung, um einen inneren
Drück, der immer heftiger wurde, auszugleichen. Es ereignete sich dort etwas sehr Merkwürdiges
und für mich Entscheidendes, das ich heute noch nicht ganz verstehe, obwohl ich sehr viel darüber
nachgedacht habe. Als nämlich das kleine Orchester mit dem Spiel begann, erschien mir auf einmal
meine ganze Umgebung klarer und schärfer wie in einem anderen Licht. In den Gesichtern der