Volltext: Zweiter Jahrgang (2(1921))

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war verdächtig, erschien mir wie eine Attrape, welche nur das eigentliche Geheimnis — vermutlich 
eine trüb erleuchtete, stallartige, blutige Höhle — verbergen sollte. 
Was ich von diesen Vorstellungen, die verblüffend leicht wechselten, während ich selbst mich 
ganz passiv verhielt, festhalten konnte, zeichnete ich in wenigen markierenden Strichen in ein Notiz= 
heft. Noch auf dem Heimweg dauerte dieser innere Aufruhr an, die Augustenstraße schien von 
selbst zusammenzuschrumpfen und ein Gebirge in ungeheurem Ring um unsere Stadt zu wachsen. 
Zuhause sank ich wie ein Toter ins Bett und schlief fest und traumlos bis gegen den Abend des 
nächsten Tages. Die folgende Zeit lebte ich sehr zurückgezogen. Ich verfertigte dann eine Reihe 
von Tuschzeichnungen, lernte das gesamte zeichnerische Werk von Klinger, Goya, de Groux, 
Rops, Munch, Ensor, Redon und ähnlicher Künstler kennen, die abwechselnd meine Lieblinge waren 
und mich hin und wieder, wenn auch unbewußt, beeinflußten. Doch sah ich deutlich, daß meine 
Arbeiten einen ganz ausgesprochenen persönlichen Stil hatten. 
Solche Wunderräusche wie der oben beschriebene überfielen mich dann noch öfter, aber nie 
mehr mit dieser plötzlichen Kraft. Mein größter Kummer war in dieser Anfangsperiode nur, daß 
meine Blätter in technischer Beziehung so ungleich wurden. Von zehn gelangen oft nur zwei oder 
gar nur eines nach Wunsch. 
Ich hatte nach und nach über hundert Arbeiten beisammen, es ging alles prächtig, nur — mein 
Geld wurde immer weniger. Da bekam ich eine Aufforderung von Paul Cassierer, in seinem 
Berliner Kunstsalon auszustellen, über die mein Herz nicht wenig schwelgte. Ich verwandte 
beinahe mein letztes Geld auf Rahmen, Passepartouts u. dergl. und sandte die Kiste frohen 
Herzens nach Berlin. Ich selbst reiste bald nach und war sehr befriedigt und stolz, als ich meine 
Sachen zum erstenmal etwas fremd und feierlich auf den glatt bespannten Wänden hängen sah. 
Leider war der pekuniäre Erfolg der Ausstellung kaum nennenswert, doch erhielt ich eine große 
Anzahl anerkennender Kritiken, die mich als neuen Künstler begrüßten. Einige allerdings ent 
setzten sich auch über die »Schreckenskammer«. Die Aufmunterung der Presse freute mich gar sehr, 
aber daß mein Geld so stark zur Neige ging, war drückend. Aber da kaufte ein Freund zwölf 
Zeichnungen von mir und mein Schifflein schwamm wieder flott dahin. Es sollte bald ganz un 
verhofft noch besser kommen. 
Ich hatte inzwischen in München den Dichter Maximilian Dauthendey kennen gelernt, der sich 
sehr für meine Kunst begeisterte und mich mit seinen Freunden bekannt machte. Diese sprachen 
dann bei ihren Bekannten von mir und machten sie auf mich aufmerksam, wodurch sie mir sehr 
nützten. Dann besuchte mich eines Tages ein Liebhaber origineller Kunst, Herr von Weber, dem 
meine Sachen so gut gefielen, daß er gleich 48 Stück auf einmal mitnahm. Von da an ging es 
rasch vorwärts. 
Vielleicht hätte ich viel mehr Geld verdienen können, wenn ich damals dem Rat meiner Freunde 
gefolgt wäre und mich ganz der Radiertechnik gewidmet hätte, aber da ich noch immer unter einer 
übergroßen Fülle von Einfällen litt, die alle nach Gestaltung drängten, blieb ich bei der Original 
zeichnung und lehnte das Anerbieten einiger Herren, mir eine Presse zu schenken, ab. 
In dieser herrlichen Zeit lernte ich in einer Familienpension eine junge Landsmännin kennen, 
mit der ich mich bald verlobte, und nun hatte mein irdisches Glück seinen Höhepunkt erreicht. Ich 
reiste zu den Verwandten meiner heimlichen Braut und bat sie mich als Bräutigam anzuerkennen. 
So beschäftigte ich mich also, nun 25 Jahre alt, ernstlich mit dem Gedanken, in Kürze einen Haus 
stand zu gründen. Aber es kam alles anders, als ich mir damals dachte. Meine Braut erkrankte, 
als sie mich einmal in München besuchte, und starb nach 10 Tagen im Krankenhaus. — Furchtbar 
öd und leer erschien mir mein Dasein fortan,- ich verlor allen Lebensmut und vergeudete meine 
Ersparnisse sinnlos, weil sie mir nun doch keinen Zweck mehr zu haben schienen. Als meine un= 
glückliche Lage ihren Höhepunkt erreicht hatte, und mein Geist nach diesen aufreibenden Monaten
	        
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