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Alfred Kubin: DER UNTERGANG DES TRAUMREICHES (Die Hölle)
Es war rätselhaft, woher dieser überschwengliche Reichtum an Tieren kam. Sie waren die eigentlichen Herren
der Stadt und hielten sich augenscheinlich auch dafür. Wenn ich im Bette lag, hörte ich ein Laufen und Hufe*
klappern, als wäre ich in einer großen Stadt. Kamele und wilde Esel durchwanderten die Straßen,- es war
gefährlich sie zu necken.
Im Gegensatz zu diesem animalischen Reichtum schwand das Pflanzenleben immer mehr, alles war abgenagt,
zerstampft, ohne Vegetation. Die Lindenalleen an der Landstraße und in der Richtung des Friedhofes bestanden
nur noch aus kahlen Baumstümpfen. Die Erde dampfte, als wollte sie noch mehr Kreaturen ausspeien. Aus
kleinen Löchern
strömte ein warmer,
sauerriechender
Dunst. In eine ei*
gentümlich, alles
verwischende Däm*
merung waren die
Nächte gehüllt.
Das Unheimlichste
war ein rätselhafter
Prozeß, der mit dem
Überhandnehmen
der Tiere begann,-
unaufhaltsam und
immer rascher zu*
nahm und die Ur*
sache zum völligen
Untergange des
Traumreiches wur*
de. — Die Zerbrö*
ckelung. — Sie er*
griff alles. Die Bau*
ten aus soverschie*
denem Material, die
in Jahren zusam*
mengebrachten Ge*
genstände, all das,
wofür der Herr sein
Gold hingegeben
hatte, war der Ver*
nichtung geweiht.
Gleichzeitig traten
in allen Mauern
Nietzsdiesäule
Sprünge auf, wurde
das Holz morsch,
rostete alles Eisen,
trübte sich das Glas,
zerfielen die Stoffe.
Kostbare Kunst*
schätze verfielen un*
widerstehlich der in*
neren Zerstörung,
ohne daß sich ein
zureichender Grund
dafür angeben ließ.
Eine Krankheit
der leblosenMaterie.
— Moder undSchim*
mel gab es in den
bestgehaltenenHäu»
sern,- es mußte ein
zersetzender, unbe*
kannter Stoff in der
Luft liegen, denn
frische Speisen,
Milch, Fleisch, spä*
ter auch Eier wur
den in einigen Stun*
den sauer und faul.
Viele Häuser bar*
sten und mußten
schleunigst von den
Inwohnern verlas*
sen werden.
Dazu kamen die
Ameisen! In jeder
Ritze und Falte, in den Kleidern, im Portemonnaie und im Bette fand man sie. Man unterschied schwarze
weiße und blutrote. Die schwarze, größte Art, fand sich in allen Mauersprüngen und im Freien, wohin immer
man seinen Fuß setzte. Die weißen, weit gefährlicheren, verwandelten das Gebälk in Mehl. Die ärgsten waren
ohne Frage die roten,- denn sie erkoren sich den menschlichen Körper zum Aufenthalt. Anfangs galt das
Kratzen noch für unanständig, man machte das privat mit sich alleimab. Doch was will einer tun, wenn es
ihn juckt? Im französischen Viertel kratzte schon längst jedermann. Wir lachten und taten bald dasselbe
Die Gattin Sr. Exzellenz des Regierungspräsidenten ging gelegentlich einer Soiree mit kühnem Beispiel voran.
Der Unrat der Tiere auf der Gasse und der Staub in den Wohnungen war nicht mehr zu entfernen. Es
wurde immer mehr, so verzweifelfttian auch dagegen ankämpfte, Während desBürstens und Klopfens zerfielen
die Kleider. Mich wunderte nur, woher die Traummenschen noch immer ihre gute Laune schöpften.