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Albrecht Dürer als Graphiker
Stellte man vor hundert Jahren die Frage, wer der größte deutsche
Künstler gewesen sei, so antwortete wohl jeder: der Nürnberger
Albrecht Dürer. Heute würde vielleicht mancher zögern, einen
Künstler neuerer Zeit nennen, oder den Meister des Isenheimer
Altars, Matthias Grünewald. Und in der Tat, die Farbwunder und den
mitreißenden Sturm von Grünewalds Werken darf man bei Dürer
nicht suchen. Sein Werk ist stiller und will mit der gleichen ein-
dringenden Sorgfalt gesehen sein, die den Meister selbst sein Leben
lang ausgezeichnet hat. Er hat es sich nicht leicht gemacht mit seiner
Kunst, war ein wacher, oft fast selbstquälerisch kritischer Sucher und
ein Stück Gelehrter dazu, zu seiner Zeit fast so berühmt als Schrift-
steller wie als Künstler. Er kannte aus eigener Erfahrung die Licht-
und Schattenseiten geistiger Arbeit. Zwei seiner berühmtesten Stiche
haben diesen Gegenstand: die Melancholie die dumpf brütende Ver-
zweiflung am Sinn allen Strebens, der Hieronymus im Gehäus die
stille Aufgeräumtheit bedachtsam abgeklärten Schaffens.
Das Buch hat neben Stift und Pinsel im Leben Dürers eine große Rolle
gespielt; nicht umsonst gibt sein Stich des Heiligen Antonius ein Lesen
von einer Hingabe und Versunkenheit, wie es bis dahin nicht dar-
gestellt worden war. So ist es denn eine buchnahe Kunst, hervor-
gewachsen aus der Buchillustration, die vorzugsweise der Schauplatz
von Dürers künstlerischem Streben wurde. Als Kupferstecher und als
Zeichner für den Holzschnitt hat er sich früh einen Namen gemacht,
und diese Seite seines Schaffens hat seinen Ruhm bei der Nachwelt
vielleicht am lebendigsten erhalten.
Es hat daher seinen guten Sinn, wenn dieser Teil seines Werkes, der
schon zu seinen Lebzeiten seinen Ruhm durch ganz Europa getragen
hat, gesondert betrachtet wird; denn man befindet sich hier nicht auf
einem Nebengeleise, sondern. im Mittelpunkt seines Schaffens. Auf
dem Boden der Graphik (in dem Wort leben ja die Begriffe Schreiben
und Zeichnen in ursprünglicher Ungetrenntheit) hat er mit den Pro-
blemen gerungen, die ihn vor allem beschäftigten; hier war er frei,
die Dinge zu sagen, die ihm besonders am Herzen lagen, nicht gebun-
den durch Wünsche und Ansprüche von Auftraggebern wie. in der
großen Malerei, doch ohne den goldenen Boden des Handwerks unter
den Füßen zu verlieren; denn für. Holzschnitt und Kupferstich gab es
zu seiner Zeit. ein aufnehmendes und zahlendes Publikum. Das begin-
nende Zeitalter des gedruckten Buches, das sich doch vom anschau-