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keit, hat den an die bürgerlich-handwerkliche Enge der Heimatstadt
Gewöhnten mächtig bewegt. ‚„‚Wie wird mich nach der Sonne frieren,
hier bin ich ein Herr, daheim ein Schmarotzer'‘; diese oft zitierte Brief-
stelle Dürers stammt zwar erst von seinem zweiten Aufenthalt in
Italien, mag aber schon für den ersten ihre Richtigkeit haben.
Die Entsprechung zu dieser freien Stellung des Menschen im Leben
bildete die Wichtigkeit der menschlichen Gestalt in der Kunst Italiens.
Der Körper mit seinem Bau, in all seinen Bewegungen, als Studien-
und Darstellungsobjekt, das war es, was der junge Nürnberger in
Venedig kennen lernte. Der Künstler nicht nur ein Handwerker, son-
dern ein schauender Gelehrter wie Leonardo da Vinci. Zur Kunst als
Wissenschaft gehörte auch die neue wissenschaftliche Raumdarstel-
lung, die Perspektive, an deren Erforschung die italienischen Künstler
entscheidenden Anteil hatten. Das Neue, das ihm hier begegnete, hat
Dürer sein Leben lang beschäftigt. Er ist als reifer Mann 1505—07
noch einmal über die Alpen gezogen, um seine Kenntnisse zu vertiefen
und zu klären; doch ist er darüber nicht zum Italiener geworden.
Sucht man im graphischen Werk, das nach der Rückkehr in die
Heimat- entstanden ist, nach den Früchten des ‚italienischen Aufent-
haltes, so findet man diese ausgeprägter in den Holzschnitten als in
den kleinen Kupferstichen, die früher noch vor die italienische Reise
datiert wurden, und in ihren Themen: Reiter, Krieger, Liebespaare,
Bauern, wie in ihrer Haltung, mit der Kunst Schongauers und des
Hausbuchmeisters zusammengehen, wenn auch die Art und Weise,
wie einzelne dieser Figuren stehen oder sitzen, ein neues Körper-
gefühl verrät.
Einer der frühen Holzschnitte von bedeutendem Format dagegen, das
Männerbad, läßt den Ehrgeiz des jungen Künstlers erkennen, der
Darstellung des nackten Körpers in der italienischen Kunst etwas
Eigenes an die Seite zu stellen. Die klar gesehenen, mit Energie
modellierten Körper sind in feinem Gleichgewicht zusammengeordnet:
Hat Dürer bei. diesem Schnitt den Gegenstand aus der heimatlichen
Wirklichkeit geholt, zeigt das große Blatt mit dem Titel „Herkules‘
in der Wahl des Themas die Erinnerung an Italien. Die Frauengestalt,
die im Hintergrund eine Pferdekinnbacke schwingt, ist eine Erinne-
rung an den Meister, der Dürer in Italien den größten Eindruck ge-
macht hat: Mantegna. Der fremde Stoff ist weniger glücklich geformt
als der heimatliche, manches verrät sich als nicht ganz verstandene
Nachbildung fremden Vorbildes; wenn auch im ganzen die gleiche
Energie der Formbehandlung herrscht wie im Männerbad.