Volltext: Der Ararat (1 (1920), 8)

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AUTOBIOGRAPHISCHES. 
Ich komme sehr gerne der Aufforderung nach, den Lesern des „Ararat" einige Angaben 
über meinen bisherigen Lebenslauf zu machen. Jede Individualität beschreibt eine Kurve, deren 
Zufallsergebnis wir sind,- mit ihr bekannt zu werden ist nicht ohne Nutzen. Was ich aber 
sagen will, soll jedenfalls auf die bündigste Art gesagt werden, denn die Feder ist das schlecht- 
gewählteste Werkzeug für die Hand des Malers. 
Geboren in der Schweiz 1887, verlebte ich meine Jugendjahre umschlossen von dem strengen 
Rahmen der Juratäler, die ich früh genug verließ, angezogen von jenem Paris der Malerei, 
dessen Reiz unwiderstehlich ist. Es sollte denn auch mein Schicksal entscheiden: alles hat sich 
seit jener Zeit für mich von Grund aus gewandelt. Dort habe ich meine wichtigsten Jahre 
verlebt, wenn schon nicht in tätiger, so doch in geistiger Beziehung: Jahre der Freude, des 
Zweifels, der materiellen Kämpfe, das Schicksal so vieler Jünglinge in der Frühdämmerung 
eines der Kunst geweihten Lebens, aber wo sich — auf dem Gipfel der Jugend — die wesent^ 
lichste Arbeit, die endgültige Formung vollzieht. Der Ausbruch des Krieges verzögerte die 
Entfaltung, ja drohte beinahe die Knospe zu zerstören. 
Es sollte mich wahrlich nicht verschonen, das gräßliche Ungeheuer. Zu tief fühlte ich mich 
meiner Umgebung verbunden, um nicht teilzunehmen an dem allgemeinen Leid. Gewiß, ich 
wollte es tun im friedlichsten Geiste, um Wunden zu heilen, nicht umWunden zu schlagen. 
Anders kam es, als ich beabsichtigte. 18 Monate der Häßlichkeit, des Totschlags, des Blutes 
im Schützengraben! Als Genesender kam ich nach Genf, nur von dem einzigen Lichtstrahl 
erfüllt, dieser Metzgerei entronnen zu sein,- und fest entschlossen, nie wieder dorthin zurück 
zukehren. Ich hatte die Freude hier an der Seite Romain Rollands viele Brüder meiner Ge= 
sinnung zu treffen, Schriftsteller des jungen Frankreichs, glühende Pazifisten wie P. J. Jouve, 
Rene Arcos u. a., die zusammen mit einigen anderen Flüchtlingen aus aller Herren Länder, 
alle ihre Kräfte aufboten zum Kampf gegen die Lüge und den Haß für die Gemeinschaft 
aller Menschen. Wenn ich auch nicht tätigen Anteil an ihren Bestrebungen nehmen konnte, 
fühlte ich mich ihnen doch die ganze Zeit hindurch moralisch verbunden, und so habe ich denn 
auch gemeinsam mit ihnen das „Manifest der Unabhängigkeit des Geistes" unterzeichnet. 
Selbstverständlich waren alle diese dunklen Jahre, wo ein Geruch von Leichen die Welt 
überschwebte, ungünstig jener für die Arbeit des Malers so notwendigen Träumerei (notwendig 
zumindest für den, der aus seiner Kunst keine Streitwaffe machen will). Die Hoffnung aber, 
die nun neu ersteht, wird, indem sie die Gewissen befreit, den Kult der Kunst — Merkmal 
des Glückes, des Friedens der Völker — wiedererwecken. 
Genua, 10. Mai 1920. 
Charles Hofer.
	        
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