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Leben gegriffen. Was ich Ihnen sage, ist Leben. Das
Abendmahl dürfen Sie drauf nehmen. Mag abscheulich
sein, aber ist nur die Wahrheit. Alles andere ist Dunst.
Lieben tut kein Mensch, sonst brauchte ich doch nicht hier
zu sitzen und auf die Kerls zu warten, die um sechs aus
dem Bureau kommen. Wenn ich im Vorbeigehen einen
Handlanger im Hausflur für zwei Mark fünfzig beglücke,
kann ich mit demselben Recht Liebe sagen, wie eine Ehe
frau, die sehnsüchtig mittags ihren Mann erwartet. Ich
brauche den Handlanger ebenso nötig. Sehne mich genau
so. Mehr, mehr. Ich muß mir die Anständigkeit fünfmark
weise zusammenverdienen. Das hat keine Ehefrau nötig.
Die Einseitigkeit ist keine Liebe, das ist nur Bequemlich
keit. Wenn zwei sich lieben, wollen sie von außen gar
nichts mehr sehen. Dazu haben sie gar keine Zeit. Die
sind fertig mit der Welt. Wenn sie nicht fertig sind, dann
lieben sie sich nicht."
„Auf keinen Fall wird geliebt. Sie sagen es. Es muß
also wahr sein, irgendwie wahr. Nein, ist nicht wahr. Es
gibt nur das Bemühen in der Welt. Bei manchen doch
das Bemühen. Das Streben, etwas zu erleichtern. Tra
gen wollen, wo Lasten sind."
„Man ist anständig, wenn man klar sieht. Aber die
Humanität ist ja zum Speien. Die sind ja in einem Du
sel. Damit ist niemandem geholfen. Im Gegenteil . . .
Es gibt in der Besserungsanstalt Schwestern vom gu
ten Hirten. Die genießen sanft unsere Sünden, die es
gar nicht gibt. Das ist eine Schmach. Wir zahlen die
Kosten, damit sie sich fühlen können. Ich brauche doch