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Wie lange wird das Mädchen wohl noch leben? Und ob
sie weiß, daß sie bald sterben wird? Selbst durch den Pu
der leuchten auf ihren schmalen Wangen die Kirchhofsro
sen. Ob sie wohl weiß, was sie bedeuten? Vielleicht tanzt
sie deswegen so intensiv.
Die Toilettenfrau erzählte gestern einmal wieder ihre
Iugendgeschichte. Betonte nachdrücklich, wie schön sie
gewesen sei, als glaubten wir es ihr nicht.
In der Toilette schminkte sich die große Elsa. Sie sieht
so mütterlich aus. Schwarzes, tief dekolletiertes Kleid mit
Jette besetzt, lange Schleppe.
Elsas Gesicht ist stark mitgenommen, hat viele Runzeln.
Kleine Schichten Fettschminke liegen in den Gesichtsfalten.
Sie verzieht oft so eigenartig schmerzlich den Mund, und
dann bricht die Schminkeschicht. Dadurch graben sich die
Mundsalten noch tiefer ein. Das sieht zum Weinen aus.
Elsa wusch sich die Hände und sah dabei in den Spie
gel. Die kleinen Dinger, die daneben standen, rieben sich
den Mund rot. Ich wartete, bis an einem der Waschbecken
ein Platz für mich frei würde.
»,2hr seid noch jung," sagt Elsa mit einem Seitenblick
aus die Nebenstehenden. „Schon jetzt glaubt ihr, ihr könnt
den Mund nicht rot genug anstreichen. Das ist noch gar
nicht nötig. Das kommt noch früh genug. Schau' doch mal
einer mich an. Gott, wie ich alt geworden bin!"
Ohne Bitterkeit spricht sie von sich, wie von einem schad
haften Möbelstück, das bald verfallen wird. Sie mustert
sich wie einen Gebrauchsgegenstand. Die kleinen Mäd
chen machen ihr das gleich nach.