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begrüßte ihn beklommen. Gott mag wissen, was der Schutz
heilige meiner Jugend von mir denkt. Hab' ihn ja noch so
wenig kennen gelernt. Er aber kennt mich genau, das sehe
ich ihm an.
Die Zeit stand still. Das ist ein Augenblick, der selten
im Leben vorkommt. „Oh, daß ich mich besinnen könnte!"
war das einzige Gebet, zu dem ich mich zu erheben ver
mochte. Unbeweglich standen die Heiligen, wie die Beson
nenheit selbst.
Da erschauerte Liane, und ich sah sie heftig zittern. Ihre
Zähne schlugen aufeinander. Ach, das frierende Kind von
Fleisch und Blut neben mir! Wonach mag sie gehungert
haben in diesem Hause? Ich legte ihr meinen Samtschal
um die Schultern, und sie setzte sich auf die Bank, stellte
die Füße auf den Betschemel. Blumen und Silbertäschchen
lagen müde im Schoß.
Ich setzte mich gleichfalls und träumte in die kalte
Kirche hinein. Die Kirche leerte sich von Menschen. Wir
blieben zurück, als hätten wir eine verabredete Zusam
menkunft. Als erwarteten wir jemanden und wußten nicht
wen.
Ach, wir sind keine alltäglichen Kirchgänger, wissen
nicht von der Gewohnheit. Die sich hier täglich einfinden-
werden wissen, wen sie hier erwarten. Wir aber suchen
die Stille, denn im Hause Gottes ist es ruhig. Wir kom
men aus einem anderen Hause, in dem man den lautesten
Lärm hört. Die weltliche Musik geht nicht so schnell aus
den Ohren . . . Darum auch bleiben wir länger wie die
andern.