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deuten soll. . . Wie sehr ich mit dem Zehnmarkstück ver
bunden bin, wie meine ganze Person dahintersteckt!
Ich schweige und lüge und klare den Kellner nicht auf.
Geld, Zeit und Mensch, alles rollt, ist Kugel, und ich sorge
für den Umlauf, für die Kreisung, und gebe vierzig Pfen
nige Trinkgeld. Solches Trinkgeld gilt als übertrieben
und unanständig, ich weiß, aber ich habe die Kunst, einzu
schätzen, verloren. Ob das vorübergehend ist?
Der Kellner denkt, ich habe mich geirrt. Aber als ich
ihm ermunternd zulächle, verbeugt er sich. Ach, vor mir
verbeugt er sich, sehr höflich und zugleich ein wenig be
fremdet. Schaut mich ein bißchen an, als wäre ich ein
seltsamer Vogel.
Dann geht er sinnend, seine noch reine Serviette un
term Arm, in einen Sonnenstreifen hinein, eine meter
breite Lichtbahn, die sich über dem leeren Lokal ausbrei
tet. Da steht der arme Kellner in seinem abgeschabten
Frack. Sein müdes, übernächtiges Gesicht ist offen und
groß der Sonne zugewandt, die durch das hohe Fenster
leuchtet... Das angenommene Kavaliersgesicht des Kell
ners verrät sich und wird kindlich und verträumt.
Gewiß, er stammt vom Lande. Ist in die Stadt gekom
men, um Geld zu verdienen. Ist Kellner geworden, weil
er sich nicht selber zu schätzen wußte. Seine Dienstwillig
keit wird von anderen berechnet und tariert.. . Jetzt steht
er auf der leuchtenden Lichtbahn, auf der die Seelen der
Heiligen zum Himmel schweben. Armer, betrogener Ober.
Ob er sich wohl ebenso tief verneigt hätte, wenn ich ihm
nur fünf Pfennige gegeben hätte? Da hört wohl die Höf-