Das Wort und das Bild.
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Die Bildungs- und Kunstideale als Varieteprogramm —: das 16. VI.
ist unsere Art von „Candide“ gegen die Zeit. Man tut so, als
ob nichts geschehen wäre. Der Schindanger wächst und man hält
am Prestige der europäischen Herrlichkeit fest. Man sucht das
Unmögliche möglich zu machen und den Verrat am Menschen,
den Raubbau an Leib und Seele der Völker, dies zivilisierte
Gemetzel in einen Triumph der europäischen Intelligenz umzu
lügen. Man führt eine Farce auf, dekretierend, nun habe Kar
freitagsstimmung zu herrschen, die weder durch ein verstohlenes
Klimpern auf halber Laute, noch durch ein Augenzwinkern dürfe
gestört und gelästert werden. Darauf ist zu sagen: man kann
nicht verlangen, daß wir die üble Pastete von Menschenfleisch,
die man uns präsentiert, mit Behagen verschlucken. Man kann
nicht verlangen, daß unsere zitternden Nüstern den Leichendunst
mit Bewunderung einsaugen. Man kann nicht erwarten, daß wir
die täglich fataler sich offenbarende Stumpfheit und Herzens
kälte mit Heroismus verwechseln. Man wird einmal einräumen
müssen, daß wir sehr höflich, ja rührend reagierten. Die grellsten
Pamphlete reichten nicht hin, die allgemein herrschende Hypo-
krisie gebührend mit Lauge und Hohn zu begießen.
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Wir haben die Plastizität des Wortes jetzt bis zu einem Punkte 18. VI.
getrieben, an dem sie schwerlich mehr überboten werden kann.
Wir erreichten dies Resultat auf Kosten des logisch gebauten,
verstandesmäßigen Satzes und demnach auch unter Verzicht auf
ein dokumentarisches Werk (als welches nur mittels zeitraubender
Gruppierung von Sätzen in einer logisch geordneten Syntax mög
lich ist). Was uns bei unseren Bemühungen zustatten kam, waren
zunächst die besonderen Umstände dieser Zeit, die eine Begabung
von Rang weder ruhen noch reifen läßt und sie somit auf die
Prüfung der Mittel verweist. Sodann aber war es der emphatische