Von Gottes- und Menschenrechten.
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die Parole, also Verräter. Man sucht die Tat zu vermeiden, weil
Tat ja Wirklichkeit ist und Ketzerei werden könnte. Man sucht
einer Identifikation mit den Worten und Taten nach Kräften aus
zuweichen. Der Erfolg Friedrichs II., des I. Napoleon, und noch
Bismarcks erklärt sich aus solcher Prämisse. ,Alles was wirklich
ist, ist vernünftig', sagt Hegel, und er ist gerade derjenige Philo
soph, der an der Wende zweier deutscher Zeitalter steht; der
Philosoph der Metternichzeit, deren Methoden damals im Rivali
tätsstreite zwischen Habsburg und Hohenzollern in die preußi
schen Kabinette übergehen.
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Das heilige römische Reich vereinigte die verschiedensten
Rassen, Sprachen, Völker und Temperamente. Es reichte in seinen
großen Zeiten von der Türkei über Holland bis nach Spanien und
Sizilien. Die deutschen Kaiser hatten eine Art kultureller Hege
monie über das Abendland, wovon dem deutschen Charakter eine
gewisse Universalität und Polyphonie der seelischen Struktur
geblieben ist. Für diese Struktur bedeutet der Nationalismus, den
Luther begründete und den der Protestantismus ausbaute, eine
unerträgliche Begrenzung und Beschränkung, ja eine libidinöse
Erkrankung, die auf den leisesten Anruf reagiert. Die gleich nach
Bismarcks Sturz einsetzende Expansionspolitik nährt sich von
dem Empfinden, daß nun, nach dem geschehenen Umbau der
dynastischen und der konfessionellen Repräsentation, die unter
den Habsburgern verlorene europäische Hegemonie vom Pro
testantismus zurückgewonnen werden müsse. Die alldeutschen
Expansionspläne unter Waldersee und Bülow umfassen in der
Tat den Balkan und die Niederlande, Lille und Dünkirchen,
Luxemburg und die Schweiz, außerdem wie in den Kreuzzugs
zeiten die Türkei und Marokko, Kreta, Armenien, Syrien, und
noch allerhand andere Gebiete. Das würde der perfekte Irrsinn
Ball, Die Flucht aus der Zeit. 14