Von Gottes- und Menschenrechten.
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Ich habe Spinozas „Ethik“ durchgelesen und mich einmal 9. VII.
mehr gewundert, wie Goethe ihn Theissimus und Christianissimus
nennen kann. Die beiden Goetheschen termini beziehen sich offen
bar auf ,Ursache' und ,Wirkung' in Spinozas System. Das be
wegende, tätige Prinzip nennt Goethe wohl Theissimus; das
erleidende, der Wirkung ausgesetzte: Christianissimus. Ver
hielte es sich so, dann könnte man sagen, es sei aus Spinozas
Kausalitätsbegriff ein Gegensatz zwischen dem allergöttlichsten
Beweger (Jehova) und dem allerchristlichsten Erleider (Jesus)
herausgelesen, und mir scheint damit in der Tat Spinozas tiefere
Konstitution bezeichnet zu sein, die, wenn auch in abstrakter
geometrischer Sprache, jüdisch und nicht christlich ist; denn
Spinozas Ethik befürwortet das konservativ-tätige, das be
wegende Prinzip, und verwirft den Affekt und das Leiden. Man
vergleiche die folgenden Sätze:
1. Lust ist an und für sich nicht schlecht, sondern gut; Unlust
dagegen ist an und für sich schlecht (S. 297).
2. Wohlbehagen ist' immer gut; Mißbehagen dagegen ist immer
schlecht (298).
3. Mitleid ist bei einem Menschen, der nach der Leitung der
Vernunft strebt, an und für sich schlecht und unnütz (305).
4. Reue ist keine Tugend und entspringt nicht der Vernunft;
sondern derjenige, der eine Tat bereut, ist doppelt gedrückt oder
unvermögend (310).
5. Weil alles, wovon der Mensch selbst die wirkende Ursache
ist, notwendig gut ist (?), so kann dem Menschen kein Übel
zustoßen, als nur von äußeren Ursachen (334).
6. Nach dem höchsten Naturrecht ist jedem erlaubt, das zu
tun, was ihm nach seiner Meinung zum Vorteil gereicht (335).
7. Gott ist frei von allem Leiden, und wird von keinem
Affekt der Lust oder Unlust erregt (364).