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Die Flucht zum Grunde.
halbem Wege stehen zu bleiben und gleich Frau Loth zur Salz
säule zu erstarren, will sagen, zum bitteren Monument zu werden.
Die Menschheit gleicht einem edlen Spalierobst, das Stützen
und Bindungen braucht, um gedeihen zu können. Sich selbst
überlassen, verkrüppelt und verwildert sie. Das ist die große
Lehre der letzten vierhundert Jahre deutscher Geschichte. Es ist
lächerlich geworden, die Autonomie des einzelnen und der Nation
noch vertreten zu wollen, wenn man die Wirkungen ansieht, zu
denen die Autonomie geführt hat.
Auf das Urteil der Majorität und des Volkes darf man in dieser
Zeit nicht allzu viel geben; am besten man hört gar nicht hin.
Fünfzig Jahre Materialismus sind keine geeignete Vorschule für
beachtenswerte Urteile über eigenes und fremdes Wesen.
Goethe und Nietzsche haben am Bilde der Nation so bewußt
gearbeitet wie nur ein Töpfer an einer Form, die er hundertmal
läßt durch die wägenden, prägsamen Hände laufen. Die Ent
scheidungen dieser beiden Geister sind mit der größten Ehrfurcht
aufzunehmen und dürfen nur nach sorgfältigster Prüfung ver
worfen werden. Beide erklären sich immer wieder für eine auf
hellende Durchdringung der Wirklichkeit. Beide erklären sich
gegen die Abstraktionen, gegen die Transzendenz, gegen den
Rausch der Musik. Und sie erklären sich selber für Aristokraten
und Psychologen. Das deutet auf schlimme Mächte gegenteiliger
Art, auf einen plebejischen, unwirklichen, menschenscheuen Zug
der Nation. Beide befürworten hiergegen die schwebend schöne
Gestalt und ein weltmännisch Wesen.
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VI. Zur Philosophie des Mittelalters:
1. Mit Duns Skotus bin ich für den Primat des Willens über
die Vernunft. Die Vernunft ist ein passives, quantitatives und