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Die Kulisse.
15. VI. Die Anarchisten stellen die Verachtung des Gesetzes als ober
stes Prinzip auf. Gegen das Gesetz und den Gesetzgeber ist
jedes Mittel recht und erlaubt. Anarchist sein, heißt also die
Satzung aufheben in allen ihren Beziehungen und Bezügen. Vor
aussetzung ist der Rousseau’sche Glaube an die natürliche Güte
des Menschen und an eine immanente Ordnung der sich selbst
überlassenen, ursprünglichen Natur. Alle Zutat (Lenkung, Leitung)
ist als Abstraktion vom Übel. Dem Staatsbürger werden die
Ehrenrechte aberkannt. Er ist naturwidrig, ein Produkt seiner Ent
wurzelung und der ihn noch weiter pervertierenden Polizei. Mit
solcher Theorie bricht der staatsphilosophische Himmel in Stücke.
Die Sterne gehen im Zickzack. Gott und der Teufel vertauschen
ihre Rollen.
*
Ich habe mich genau geprüft. Niemals würde ich das Chaos
willkommen heißen, Bomben werfen, Brücken sprengen und die
Begriffe abschaffen mögen. Ich bin kein Anarchist. Je länger und
weiter ich von Deutschland entfernt sein werde, desto weniger
werde ich es sein.
*
Den Anarchismus verdankt man der Überspannung oder Ent
artung der Staatsidee. Er wird sich besonders dort zeigen, wo
Individuen oder Klassen, die in idyllischen, innig mit der Natur
oder der Religion verbundenen Bedingungen aufgewachsen sind,
in strengen staatlichen Verschluß genommen werden. Die Über
legenheit solcher Individuen über die Konstruktionen und Mecha
nismen eines modernen Staatsungetüms liegt auf der Hand. Zur
natürlichen Güte des Menschen ist zu sagen: daß sie zwar mög
lich, aber durchaus kein Gesetz ist. Meistens zehrt diese Güte
von einem mehr oder minder bewußten Schatze religiöser Er
ziehung und Tradition. Die Natur, ohne Vorurteil und Sentimen-