Die Kulisse.
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talität betrachtet, ist längst nicht so unbedingt gütig und ordent
lich, wie man sie gerne haben möchte. Schließlich sind die Wort
führer des Anarchismus (von Proudhon weiß ich es nicht, aber
von Krapotkin und Bakunin ist es gewiß) getaufte Katholiken
und im Falle der Russen Gutsbesitzer, das heißt ländliche, der
Gesellschaft abholde Naturen gewesen. Auch ihre Theorie noch
nährt sich vom Taufsakrament und vom Ackerbau.
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Die Anarchisten kennen den Staat nur als Monstrum, und viel- 16. VL
leicht gibt es heute keinen andern Staat mehr. Legt dieser Staat
sich metaphysische Allüren zu oder beruft er sich auf solche,
während seine wirtschaftliche und moralische Praxis damit in
flagrantem Widerspruch steht, so ist es begreiflich, daß ein noch
unverdorbener Mensch zu schäumen beginnt. Die Theorie einer
bedingungslosen Zerstörung der Staatsmetaphysik kann zu einer
Frage des persönlichen Anstandes und eines sensiblen Empfindens
für Echtheit und Pose werden. Die anarchistischen Theorien
decken die formalistisch verkappte Entartung unserer Zeit auf.
Die Metaphysik erscheint als ein Mimikry, dessen der moderne
Bürger sich bedient, um, einer gefräßigen Raupe vergleichbar, im
Schutze der überhängenden (Zeitungs-) Blätter die ganze Kultur
zu veröden.
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Als Lehre von der Einheit und Solidarität der gesamten
Menschheit ist der Anarchismus ein Glaube an die allgemeine
natürliche Gotteskindschaft, ein Glaube auch an den produktiven
Höchstertrag einer zwanglosen Welt. Rechnet man die moralische
Verwirrung, die katastrophale Zerstörung ab, wozu überall das
zentralistische System und die systematisierte Arbeit geführt
haben, so wird kein vernünftiger Mensch die Behauptung ab
weisen, daß eine in primitiven, unbefangenen Zuständen fau-