Die Kulisse.
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den Nagezähnen und die Zeitung lesend. Es kommt gewiß von
den Riesenratten, die ich als Kind einmal auf dem Jahrmarkt
sah. Es waren aber gewiß nur verkleidete Hamster. Der Schau
steller, der sie zeigte, hatte auf das Plakat geschrieben: „Riesen
ratten aus Paris“. Auf dem Bilde sah man einen Jungen, der
eine Milchkanne trug und damit nebst einem schlecht befestigten
Kanaldeckel in die Tiefe stürzte. Da unten führte man ihn dann
vor den Rattenkönig und machte ihm den Prozeß. Dem Schau
steller war es gelungen, vierer dieser Prachtexemplare habhaft
zu werden und sie in Eisenkäfigen vorzuzeigen. Er fütterte sie
mit gelben Wurzeln, und mir scheint, in der Erinnerung, sie
sahen sogar recht menschlich aus. Wo hab ich doch so ein Ge
sicht gesehen?
Immer auf Sade zurückgehen, sagt Baudelaire, das heißt auf
den ,homme naturel 4 , um das Böse zu erklären.
*
Bei genauerem Hinsehen lösen die Dinge sich in Phantasmata 13. XI.
auf. Das ganze Arrangement erscheint als ein verhängnisvoller
Ablauf optischer Täuschungen, worin der bewußte Irrtum und
die gefaßte Lüge am ehesten noch eine Art von Sinn und Halt,
eine Perspektive aufrechterhalten. Was man gemeinhin Wirklich
keit nennt, ist, exakt gesprochen, ein aufgebauschtes Nichts. Die
Hand, die zugreift, zerfällt in Atome; das Auge, das sehen will,
löst sich in Dunst auf. Wie könnte das Herz sich behaupten,
wenn es die Tatsachen gelten ließe? Wer eine Neigung hätte, auf
Tatsachen zu insistieren, der müßte gar bald die Erfahrung
machen, daß er noch weniger als ein Nichts, nur Schatten des
Nichts und Befleckung durch diese Schatten gesammelt hat. Er
würde gehalten sein, das Gute überall als eine Illusion des Bösen
zu betrachten, Einheit und Dauer aber als wohlgemeinte Finten,