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schöpferische Indifferenz, wie Dr. Friedländer-Mynona das
nennt, nicht aufgibt. Es erscheint kaum glaublich, daß
man zugleich tätig und ruhig, hingebend und ablehnend
sein kann; und doch besteht darin das Leben selbst, das
naive selbstverständliche Leben mit der Gleichgültigkeit
gegen Glück und Tod, Freude und Elend. Der Dadaist
ist naiv. Er will das selbstverständliche undifferenzierte,
unintellektuelle Leben. Für ihn ist ein Tisch keine Mause
falle und das Parapluie ist in keinem Fall dafür da, daß
man sich mit ihm die Zähne ausstochert, ln einem solchen
Leben ist die Kunst nicht mehr und nicht weniger als ein
psychologisches Problem. Auf die Masse bezogen ist sie
ein Phänomen der öffentlichen Moral. Der Dadaist hält
es für nötig gegen die Kunst aufzutreten, weil er ihren
Schwindel als moralisches Sicherheitsventil durchschaut
hat. Vielleicht ist diese Kampfeinstellung eine Geste
letzter anerzogener Ehrlichkeit, vielleicht macht es dem
Dadaisten nur Spaß, vielleicht hat es überhaupt keinen
Sinn, jedenfalls aber ist von einem wohl fundamentierten
Gesichtspunkt aus gesehen die Kunst (inbegriffen Kultur,
Geist, Turnverein) ein groß angelegter Schwindel. Und
dies, wie schon oben angedeutet, ganz besonders in
Deutschland, wo schon dem Kinde die lächerlichste
Idolatrie aller möglichen Gottheiten eingeknutet wird,
damit der Mann und ausgewachsene Steuerzahler nachher
als kompletter Narr schleunigst auf die Knie fällt, wenn
im Interesse des Staates oder einer kleineren Räuber
clique die Anbetung eines „großen Geistes“ befohlen
wird. Ich behaupte immer wieder: der ganze Geist
betrieb ist ein platter utilitaristischer Schwindel, ln diesem
Krieg haben sich die Deutschen (besonders in Sachsen,
wo die infamsten Heuchler sitzen) mit Goethe und
Schiller nach außen und innen zu rechtfertigen gesucht.
Kultur kann man feierlich als den Form gewordenen
Geist eines Volkes, ganz Simpel, aber auch als Kom-
pensationserscheinung, als Verbeugung vor einem un
sichtbaren Richterstuhl, als Veronal für das Gewissen
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