30
durchgegangen, wie hätte sie sonst so schnell das
junge Mädchen gefunden haben können. Wie freute
sich Auguste, daß das Mädchen nicht inzwischen
verzogen oder gestorben war. Aber was sollte Au
guste nun sagen? Jedenfalls wollte sie es dieses
Mal geschickt anfangen. Auguste wußte, daß sie
jetzt diplomatisch vorgehen mußte. Sonst würde
sie nichts erfahren. Auguste wußte, daß sie ihre
persönliche Autorität wahren mußte. Es kam ihr
ein genialer Gedanke, wie ein Freier, und schoß
durch ihren durchlöcherten Kopf. Und wie ein
Querschläger blieb der Gedanke sitzen. Auguste
fühlte, daß sie jetzt quasi vis-ä-vis der Ewigkeit
stünde und schwieg deshalb. Auguste schwieg.
„Was wünchen Sie?“ fragte das junge Mädchen.
Frl. Dr. Auguste wahrte ihre persönliche Autori
tät und schwieg. „Womit kann ich Ihnen dienen?“
fragte das Mädchen weiter. Frl. Dr. Auguste
schwieg. „Was wollen Sie denn hier?“ — Auguste
wußte ihre persönliche Autorität zu wahren. Jetzt
begann das junge Mädchen ihr ins Ohr zu brüllen,
was sie eigentlich wollte. Frl. Dr. Leb war ja gar
nicht taub, nur zuweilen Persönlichkeit, nichts
weiter. Aber Frl. Dr. Auguste erregte sich über
diese Behandlung gegen eine Persönlichkeit, wenn
sie auch einige Genugtuung darüber empfand, daß
sie so großen Eindruck machte. Gegen Persön
lichkeiten pflegt nämlich ein sittsamer Mensch
ruhig, freundlich und leise zu sein. Ertauben Per
sönlichkeiten aber, so können sie sowieso nichts
hören. Man legt den Finger auf den Mund und
sagt ehrfürchtig: „Da steht sie, die Persönlichkeit.
Sie sagt keinen Ton. Hört ihr, wie sie.schweigt?“
Und mit einem Male schlug das Mädchen die
Tür zu.