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Trug, Schein, Kunststück
Der Mensch wurde ein kindischer Demiurg, ein kindischer Schöpfer. In
seinem Grössenwahn wollte er Gott und die Welt nochmals erschaffen. Eine
widerliche Zänkerei entbrannte nun unter den Demiurgen und steigerte
ihre Uneinigkeit bis zur Feindschaft. Jeder Maler, jeder Bildhauer wollte
der erstaunlichere Schöpfer sein. An Stelle der Namenlosigkeit und der
Demut traten die Berühmtheit und das Kunststück.
Der Mensch hat den Sinn für die Schönheit verloren. Er ist unwirklich
geworden. An Stelle von Pyramiden. Tempeln, Domen, lässt er Trug, Schein,
Kunststück entstehen.
Wirklichkeit
Unsere Arbeiten sind Bauten aus Linien, Flächen, Formen, Farben. Sie
suchen sich dem Wirklichen zu nähern. Sie hassen das Kunststück, die Eitel
keit, die Nachahmung, die Seiltänzerei. Sicher gibt es Seiltänzer von unter
schiedlicher Begabung. Die Kunst aber soll zur Geistigkeit, zur Wirklichkeit
führen. Diese Wirklichkeit ist weder die objektive Wirklichkeit oder Realität,
noch die subjektive, gedankliche Wirklichkeit, das heisst Idealität, sondern
eine mystische Wirklichkeit, der gegenüber wir uns wie das Auge verhalten,
von welchem das nachfolgende neu-platonische Bild spricht: “Es entfernt
sich vom Licht um die Dunkelheit zu sehen, es sieht aber nicht; denn es kann
die Dunkelheit nicht bei Licht sehen, indessen, ohne dieses, sieht es nicht;
indem es nicht sieht, sieht es die Dunkelheit so, wie es sie natürlicherweise
sehen kann.”
Oben und Unten
In frühen Zeiten wusste der Mensch, wo oben und unten ist, wusste, was
ewig und was vergänglich ist. Der Mensch stand noch nicht auf dem Kopf.
Seine Häuser hatten einen Boden, Wände und eine Decke. Die Renaissance
verwandelte die Decke in einen Narrenhimmel, die Wände in Irrgärten und
den Boden in das Bodenlose. Der Mensch hat den Sinn für die Wirklichkeit,
das Mystische, die bestimmte Unbestimmbarkeit, die grösste Bestimmtheit
verloren.