VI
Es ist meine feste Ueberzeugung, dass der Sturz der
preussisch-deutschen Willkürherrschaft, wie ihn Präsident
Wilson in seiner berühmten Rede auf Mount Vernon po
stulierte, nicht genügen wird, die Welt vor einem ferneren
deutschen Attentat — das ja nicht nur in kriegerischen
Aktionen zu bestehen braucht — zu schützen. Es ist für
den in Aussicht genommenen Völkerbund von der höchsten
Wichtigkeit, sich die historische Stärke der vereitelten deut
schen Intrige, die moralische Erschöpfung eines Volkes,
das tausend Jahre unter der furchtbarsten Theokratie ge
litten hat, vor Augen zu halten, wenn Heil und Versöh
nung wirklich erfolgen und auch garantiert sein sollen.
Um die deutsche Denkart in ihrem ganzen Relief her
vortreten zu lassen, suchte ich das Gegenbild aufzustellen,
das kein anderes sein konnte, als ein konsequent christliches,
wie es im Bewusstsein führender europäischer Geister seit
hundert Jahren zu einer universalen Renaissance strebt. Und
da ich den religiösen Despotismus für das Grab des deut
schen Gedankens hielt, versuchte ich, das neue Ideal aus
serhalb des Staates und der historischen Kirche in einer
neuen Internationale der religiösen Intelligenz zu begründen.
Es kennzeichnet die Freiheit, dass sie so wenig verwirk
licht werden kann, wie Gott zu verwirklichen ist. Es gibt
keinen Gott ausser in der Freiheit, wie es keine Freiheit
gibt ausser in Gott.
Bern, 24. Dezember 1918.
Hugo Ball