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freundlich sind dsrt die Menschen. Sie haben das schöne Bedürfnis, einander
zu fragen, ob sie einander unterstützen können. Sie gehen nicht gleichgültig
aneinander vorbei, aber ebensowenig belästigen sie einander. Liebevoll sind sie,
aber sie sind nicht neugierig. Sie nähern sich einander, aber sie quälen einander
nicht, wer dort unglücklich ist, ist es nicht lange, und wer sich dort wohl fühlt,
ist nicht dafür übermütig. Die Menschen, die dort wohnen, wo die Gedanken
wohnen, sind weit davon entfernt, eine Lust in irgend jemand Anderes Unlust
zu finden und eine abscheuliche Freude zu fühlen, wo ein Anderer sich in Ver-
legenheit befindet. Sie schämen sich dort jeglicher Schadenfreude; lieber sind
sie selber beschädigt, als daß sie gerne sähen, wie ein Anderer Schaden nimmt.
Diese Menschen haben insofern ein Bedürfnis nach Schönheit, als sie nicht
gerne ihres Mitmenschen Schaden sehen. Alle Leute wünschen dort allen nur
das Beste. Reiner lebt dort, der nur sich selber Gutes wünscht und nur seine
Frau und seine Rinder wohl aufgehoben wissen will. Er will, daß auch des
Andern Frau und des Andern Rinder sich glücklich fühlen, wenn ein Mensch
dort irgend einen Unglücklichen sieht, ist sein eigenes Glück auch bereits zer
stört, denn dort, wo die Nächstenliebe wohnt, ist die Menschheit eine Familie,
und es kann dort niemand glücklich sein, wenn nicht jedermann es ist. Neid
und Mißgunst sind dort unbekannt, und die Rache ist ein Ding der Unmöglich
keit. Rein Mensch ist dort dem Andern im weg, es triumphiert Reiner über
den Andern, wo einer Schwächen an den Tag legt, findet sich niemand, der
sie sich alfogleich zu Nutzen macht, denn es nehmen alle eine schöne Rücksicht
aufeinander. Der Starke und Mächtige kann dort nicht Bewunderung ernten,
denn alle besitzen eine ähnliche Rraft und üben eine gleichmäßige Macht aus.
Die Menschen geben und nehmen in anmutigem, Vernunft und Verstand nicht
verletzenden Wechsel. Liebe ist dort das bedeutendste Gesetz; Freundschaft die
vorderste Regel. Arm und Reich gibt es nicht. Reine Rönige und keine Raiser
hat es dort, wo der gesunde Mensch wohnt, je gegeben. Die Frau herrscht
dort nicht über den Mann, der Mann aber ebensowenig über die Frau. Es
herrscht niemand, außer jedermann über sich selber. Alles dient dort allem,
und der Sinn der Welt geht deutlich dahin, den Schmerz zu beseitigen. Nie
mand will genießen; die Folge ist, daß alle es tun. Alle wollen arm sein;
hieraus folgt, daß niemand arm ist. Dort, dort ist es schön, dort möchte ich
leben. Unter Menschen, die sich frei fühlen, weil sie sich beschränken, möchte ich
leben. Unter Menschen, die einander achten, möchte ich leben. Unter Menschen,
die keine Angst kennen, möchte ich leben. Ich sehe wohl ein, daß ich phantasiere.
Robert Walser