Gottfried. Sie sind von den großen Schemen, die heute Blut getrunken
haben. Sie leben vom Blut der Opfer selbst. Sie waren uns Flamen; jetzt,
von dem Augenblick an, da sie uns forderten, jetzt sind sie uns heißestes Leben.
Clemens, warum aber mußten sie fordern? warum mußten sie dies
Blut trinken? Sie fordern unser Blut und werden erst durch unser Blut zu
Lebenden? wofür dieser schaurige Rreis? warum müssen sie leben, wenn sie
unsere Idee der Menschheit, ihr eines reines Bild verzerren und zerstören?
Gottfried. Der Abgrund zwischen unserer Statur und unserer Idee ist
unsere Welt — unsere ganze, ungeheure, durch uns zu erfüllende Welt. Nur
das Tun kann sie erfüllen. Von Bildern, Namen, Symbolen, von allen Ge
stalten unseres Geistes, und wären es die schönsten und reichsten, wird unsere
Welt nicht zur Welt. Nur Wirklichkeiten können sie erfüllen — und nur das
Tun schafft Wirklichkeiten. Alle Schatten des Abgrundes lechzen nach unserem
lebendigen Blut.
Clemens. Und was sind diese Schatten?
Gottfried. Sie sind die Gebilde des Geistes, die er auf seinem Wege zur
Idee in den leeren Abgrund wirft.
Clemens. Und die Nation?
Gottfried. Auch die Nation liegt zwischen unserer Natur und unserer
Idee: auch sie ein Bild unseres suchenden Geistes, auch sie ein Wille, ein Traum,
ein Sehnen nach Wirklichkeit. Unsere Natur: das ist der Einzelne in seiner
körperlich empirischen Isoliertheit; unsere Idee, das ist die Eine vollkommene
Menschheit. Dazwischen liegen die Nationen: nicht mehr das einzelne, körper-
lich isolierte Individuum — aber noch nicht die Menschheit. Noch nicht das
Nicht-Andere und doch mehr als das Nur-Andere: ein in sich Eines, ein Ganzes
in seiner Schönheit, die der Abglanz des Einen ist — und doch noch das Andere,
das Fremde, das Organische, das noch mit dem Gesetz des Wachstums in sich
selbst, das mit der Häßlichkeit der Feindschaft gegen das Andere gezeichnet ist.
Clemens. Und seine Schönheit erfüllt sich im freien Opfer — und seine
Häßlichkeit darin, daß es Opfer braucht.
Gottfried. An beidem aber, an der Forderung der Nationen wie an der Er
füllung durch das Liebesopfcr, an der Selbstverständlichkeit, mit der es gefordert
und gebracht wird, erkennen wir unseren weg und unsere Stufe. Es ist die Stufe
des Opfers. Als wir den Traum des Internationalismus träumten, da glaubten
viele von uns die durch Jahrtausende blutiger Rriege bezeichnete Stufe der
nationalen Feindschaft überwunden. Aber auch für uns gilt noch das uralte
Wort Salomos: wie der Scheme im Wasser ist gegen das Angesicht, also ist
eines Menschen Herz gegen den andern, wir sind noch das Andere.
Clemens, wird das nicht von uns gelten, so lange wir Menschen sind?
Du selbst hast unsere Welt bezeichnet als den Abgrund zwischen uns und
unserer Idee, wäre der Abgrund überbrückt, so härten wir keine Welt mehr.