Tagebuch des Kritikers
Wilhelm Rlemm, Gloria! Rriegs-
gedichteausdemFeld. Holzschnitte
von w. Rlemm (Albert Langen,
München). Daß der RriegSdienst Einem die
Rraft läßt seiner gewiß zu bleiben, und daß die
Bewußtheit so viel helle» Drang bewahrt, sich
nochmals zu verdoppeln in die Macht des Werks,
der Spiegelung, der litterarischen Tat, dies er
scheint mir ein außergewöhnlicher Fall. Damit
ist man bei Walter Rlemm. Im Gegensatz zu
Liliencron, der die zeitliche Entfernung nötig
hatte und zu Börner, der, als er zu sterben
wähnte, mit der Einbildungskraft seine Sach
lage noch umdeutete, wird Rlemm ganz und gar
gleichzeitig mit dem Geschehen auch dessen Seher,
ohne Fälschung, ohne Umordnung ins Rünst-
liche, ohne poetischkeic. Er handelt, lebt, stirbt
zweimal. Das Dichten bei ihm ist das Mittel,
womit vor sich selber das Ich sich besser be-
hauprer als sowohl vollständiger untergeht.
Das Formale ist sehr stark. Der Stil, in dem
dieser Rricg sich abspielt, findet hier endlich
seine wahrhafte Umprägung ins Wort und in
die gedruckte Wirkung, wobei auf alle die nahe
liegenden Akzente des Grauens, der menschlichen
Wehrlosigkeit, der auch seelischen Verwüstung
verzichtet wird. Das Gegenteil: Verherrlichung,
Soldatenlust, Forsche — auch derlei Eifer blieb
außerhalb. Sondern ans Herz greifend ist wesent
lich die technische Bändigung, das Belebtfein
der Strophen mir Rürze, Deutlichkeit, gesättig
tem Rönnen, Hat Rlemm für die Mannhaftig
keit feines künstlerischen willens vor dem Feind
das ihm gebührende eiserne Rreuz erhalten ? F.
Emile Verharren, La Belgique
sanglante (Nouvelle Revue Fran?
5 ai s e). Für E. verharren mußte auch ein Buch
gegen Deutschland zur Dichtung werden. Hier
greifen wir sie, die ungemeine Sagcngröße, in
solche Wut und Haß der Gegner uns erhebt. Die
„Organisation", die deutsche „Rultur", der
deutsche „Schulmann", die Runst von Berlin
und München, der Raiser, die Legenden von
den belgische» Greueln — alles erhält gesteigerten
Zusammenhang und die Mittel des Spottes,
der Verzerrung, des widcrlegens, mit denen der
Gegner arbeitet, machen diese Einheit unseres
Auftretens für uns erst ganz ersichtlich und um
so ehrwürdiger. Nichts in diesem Buche ist
zutreffend — aber Verhaeren, welcher elende
Zeitungsnachrichten als feine Zeugen heranzieht,
beseelt den Zeitungsbericht unwillkürlich und
macht ihn zum geistigen Faktum. Das Faktum,
durchädcrt von den Energien der Verhaeren-
fchen Schreibweise, lebt; cs ist, für den Augen
blick des Lesens, geschehen gewesen, bis in alle
Ewigkeit ereignet es sich nun weiter. Die Wirk
lichkeit kann dagegen nicht an. Denn sie ver
starb ja mit dem Schlage, der sie gebar. Das
Buch bleibt. Die große, irre geleitete Inbrunst
des Dichters bleibt. Sein Herzschlag, sein von
nichtgeschehenenAufregungen bcschleunigterHcrz-
fchlag phantasiert und wird in anderen Herzen
sein Echo haben. Dies ist die Macht des Geistigen.
Das Geistige saugt seine Säfte so gut aus der
Lüge wie aus dem Vertrauen. Es überwächst
den Menschen. Es diktiert dem Dichter ver
harren, den wir trotz dieses Buches zu verehren
haben, folgendes ergreifende Vorwort:
„Der Mann, welcher dieses Buch verfaßte, worin
sich deutlich genug der Haß kündigt, war ehedem
ein glühender Friedensfreund. Er bewunderte
die Völker; einige, vor anderen, liebte er. Hier
unter zählte Deutschland,
war dieses Volk nicht arbeitsam, unternehmungs
lustig, wagemutig, sonderbar und im Innern
geordneter als andere Völker? Bot es denen,
die als Besucher zu ihm kamen, nicht den Anblick
einer in tiefer Rraft wurzelnden Sicherheit?
Richteten sich seine Augen nicht glühender und
entschlossener als die der anderen ins Zukünftige?