Full text: 1914-1916 (1914-1916)

Religion und Nation 
^)eide haben den Mittelpunkt und die reinste Esten; — ihre 
Sonuenhaftigkeit möcht' ich jagen — in einem mystischen Erleben. 
Aus diesem kommt ihnen Recht und Adel für die Rleinungeu und 
das Handeln. Hinter den ursprünglich Erlebenden, als den aus 
der Quelle trinkenden, drängt sich die Waste der Trüberen, Sugge 
rierten in mehr oder minder zufälliger Anordnung und Abgren 
zung. Solche Gebilde sind die wechselnden Erscheinungen von Kirche 
und Staat. 
Vergesteu wir nicht: das reine Erlebnis ist in diesen Gebilden 
verdunkelt, vor allem mit seinem Wesen ganz fremden Besitz- und 
Geldfragen vermengt; und vielleicht müßte eine Reformation des 
Rationalen ein tiefstes nationales Lich-selbst-Zinden, mit mehr 
Recht sich von gewisten politischen Gegebenheiten emanzipieren als 
die Reformation des Lhristeutums von der katholischen Kirche sich 
emanzipiert hat. Liner solchen Anschauung würde das Verhältnis 
von Nationalgefühl und Patriotismus dem Verhältnis von echter 
Gottliebe und Papsttreue vergleichbar erscheinen. 
Seltsam, daß das Wüten der nationalen Leidenschaft einer 
späteren Stufe der Völkergeschichte vorbehalten blieb als der re 
ligiöse Zanatismus. Vernünftigermaßen hätte man die umgekehrte 
Reihenfolge erwartet. Denn das Religiöse ist ganz 2nnen, letztlich 
nnmitteilbar. Daß einer glaubt, es gebe nur eine, seine Art» das 
Göttliche zu erkennen, ihm zu dienen, ist unwiderleglich. Wüsten 
nicht alle andern irren oder lügen? An welchem Zeichen könnten 
sie die Echtheit ihres Erlebens nachweisen? 
Aber die Gegenstände nationalen Erlebens, so komplex und der 
streng begrifflichen Zestlegung widerstrebend sie sein mögen, man
	        
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