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Glossen und Kritiken
Lpitteler, Earl. Unser
Schwerer Standpunkt. Zü
rich, 1915. Das ist der vielbeschrieene
Vortrag Lpittelers. Weil er darin
sagt, was er denkt, wurde er von der
deutschen Tagespresse und ihrer Ge
folgschaft in Acht und Bann getan
«nd als „undankbarer Deutschenfeind"
verlästert.
2n Wahrheit kann man vor solch
einer Äußerung nur )weierlei fragen:
Erstens: Ost Gesinnung und Art der
Äußerung anständig oder nicht?
Nun, dieser Vortrag ist nicht nur an
ständig, sondern geradezu vorbildlich
ruhig und vornehm. Menschlicher und
schöner, als Lpitteler es tut, kann man
den unmenschlichen Begriff „neutral"
überhaupt nicht auffassen. Darüber ist
gar nicht )u diskutieren.
Diezweite Zrage wäre: Hat er recht?
Oder hat er unrecht?
Auch darüber ist nicht viel zu sagen.
Er h a t recht. Er redet als Schweizer;
und ich möchte wissen, welchen Stand
punkt ein Schweizer einnehmen könnte,
der richtiger wäre, als dieser Stand
punkt Lpittelers?
2n einer Einzelheit, in dem, was er
von uns und Belgien sagt, hat er
vielleicht, hat er wohl sicher unrecht.
Wenn er aber tausendmal unrecht
hätte — was täte es? Was könnten
und dürften wir erwidern? Doch
eben nur: „Du haft tausendmal un
recht!" Und weiter nichts.
Oder ist es plötzlich verboten, eine
andere Meinung zu haben? Gilt es
für ehrlos, etwas anderes für recht
}u halten? 2ch hoffe, so schwach sind
wir in Deutschland noch nicht, daß wir
nicht die fremde Meinung hören und
respektieren könnten.
Und wenn sie ihrem Herrn so bitter
lich schwer geworden ist, wenn sie so
ernst, so vornehm und bescheiden
daherkommt, wie hier, dann sollten
wir ruhig — das tun, was Spitteler
am Ende seiner Rede vor uns und
unserem Leide tut — wir sollten den
Hut vor ihr abnehmen. Auch wenn
wir tausendmal anderer Meinung
sind. Das würde uns ehren. Schimpfen
(das gilt für immer!), schimpfen ehrt
nie den Schimpfenden; ober oft den
Beschimpften.
(Zum Schluß weiß man nicht: weshalb
die Aufregung? 6ch glaube, tatsäch
lich wegen der paar von Spitteler
gebrauchten Vergleiche. „Wenn ein
Einbrecher Sie mit dem Messer be
droht, so rufen sie unbedenklich
2hren Haushund zu Hilfe." 2n diesem
Vergleich spielen wir die Rolle des
Einbrechers, die farbigen Hilfsvölker
der Engländer und Franzosen die des
Hundes. Aber jemanden mit einem
Einbrecher vergleichen heißt noch
nicht ihn des Einbruchs beschul
digen. Daran kann Spitteler, nach
dem, was er sonst sagt, gar nicht ge
dacht haben.
„Stellen Sie sich vor, Sie wären ein
Regenwurm, würden 2hnen ge
pflasterte Straßen angenehm sein?"
Damit behaupte ich noch nicht, daß
Sie ein Regenwurm sind. Und wenn
Ehristus den lieben Gott mit dem
ungerechten Richter vergleicht,
dann meint er auch nicht, daß Gott ein
ungerechter Richter i st.
Soviel von Vergleichen, Lpitteler,
Ansland und uns. über die Schrift
nur das Line: daß sie höchst lesens
wert ist. H. 5.