Volltext: 1914-1916 (1914-1916)

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Kubiu 
<D* Kunst Kubins kommt aus den Aerveu. Das Wort „Aerveu" steht hier 
keineswegs bloß in jenem ein wenig unverbindlichen Sinn von Verfeinerung, in 
dem es als auszeichnende Parole beim Künstler rumeist gebraucht wird. Ls 
bedeutet nicht nur ein überempfindliches Seusorium. Ls steht hier auch geradezu 
in jenem extremen Sinn» den es im Mund des Arztes hat. 
Ls steht aljo gewissermaßen in einem höchst unglücklichen Sinn. Aber 
nun geschieht das Wunder, zu deffeu Erklärung kein Doktor berufen ist. Was 
in der Medizin pathologisch genannt ist, wird in der Kunst Kubins zur Leidenschaft. 
Lin Zustand, der wissenschaftlich als Neurasthenie bezeichnet ist, wird zur Grund 
lage einer Produktion, die durch Wert und Umfang in Erstaunen fetzt. Lr wird 
eine Quelle positiver Leistung, positiver Kraft. 
So ist dieser Mensch, daß ihn die Tragikomödie seiner Aerveu in den 
Verhältnissen des gewöhuücheu Lebens beirrt und ihn gegenüber den Anforde 
rungen des herzlos technischen Betriebs» den unser Sahrhuudert Dasein nennt» 
unzulänglich macht. Schon das Kind Kubiu ist durch Aerveu desorientiert. 
Verwirrt und böse versagt es gegenüber den Begriffen von Artigkeit und 
Schicklichkeit, die von der Zamilie gehegt werden» und gegenüber der Schule» 
die er als durchgefallener Lateinfchüler verläßt. Desorientiert steht der Wachsende 
und der Manu dem andern Geschlecht gegenüber, das chm die Liebllugskreatur des 
Leufels wird und Leufelskreatur um so viel mehr, je begehrenswerter es ihm 
erscheint. Als Soldat erlebt er einen fürchterlichen Lollapsus des Geistes und 
des Körpers. Gepeinigt flöchtet er aus dem Leben der Stadt in die idgllifche 
Schönheit des oberösterreichifcheu Douaulaudes. 2hu beirrt durch 2ahre die 
Bernfsfrage, die er nach hundert Seiten zu lösen sucht — in einem besonders 
desperaten Augenblick gar als Photograph. 
Endlich beirrt ihn die Knust selbst» der er von allen Seiten nahezukommen 
versucht; denn er liebt die Geige, auf der er spielt» so sehr wie den Roman, 
den er schreibt — jenen irrsinnigen, qualvoll-skurrilen Limbus, den er »chie andere 
Seite- nennt; und so sehr als Geige und Buch Üebt er die Zeichnung. 
Doch selbst seine Zeichnung peinigt ihn. 2hu peinigt ihr übersinnlicher 
Gegenstand und ihre magische Zormaufgabe. Er kaun sich den Zorderuugen der 
Zeichnung kaum aupasieu. 2m Freihandzeichnen ist der Schüler ungenügend. 
2ahre hindurch zeichnet der Künstler Blätter» deren knabenhaft linkische Linie
	        
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