Volltext: 1914-1916 (1914-1916)

Satirisches Tagebuch 
3»» Krakau, dem Eingang zu Galizien, sah ich zwei Häuser zur Anbetung Gottes. 
Die Rieseukirche prangte in Gold und Bildern. Turmhohe bunte Scheiben 
reckten sich leuchtend bis au die Wölbung eines blaugoldeueu Sternenhimmels. 
Die Wände waren so reich behängen» das hohe Gestühl so dick geschnitzt und die 
Priester vorn au den Altare« schritten so königlich geschmückt, als ob es außer 
jedem kleinsten Zweifel läge, daß hier der richtige Gott verehrt wurde. Die 
großen Heiligen» die ganz aus Gold den Gang zum Heiligsten zu beiden Smten 
vollstaudeu, dachten nicht im entferntesten daran, daß ste einmal überflüfstg 
«erden könnten» und sahen mit einer angefangenen und plötzlich abgebrochene« 
stillen Gebärde auf die kuieeudeu österreichischen Soldaten, die sich ihnen im vollen 
Bewußtsein ihrer Armut, die Alützeu zerknickt in einer Hand, ergaben. 
Die uralte Sguagoge ist schon halb versunken auf dem viereckigen, grob- 
steinigen Platz im niedrigsten Teil der Stadt. Der Steiuban im strengen Dunkel- 
rot des AUttelalters, mehrere Male Lbereiuaudergefetzt, hat sich ineinanderge 
schoben und nach vorn geneigt: eine unförmige Steiuauftörmuug ähnlich einem 
großen Grabmal. Durch einen Kellergaug und eiserne Türen mit mächtigen 
SchÜisseru kroch ich in den Tempel» der tiefer als die Erde lag. Eine graue 
Wölbung. Spät ansetzend dünne bllude Fenster. Bon der Mitte der Decke hing 
bis auf den Fußboden umgeben von hölzernen Bänken ein Käfig aus «fernem Ge 
stänge. An einer Seite waren die Mauern in Kopfhöhe durchbrochen und vor 
den länglichen Öffnungen schwebten Schleier wie alte Aieseuspiuugewebe: Die 
Frauen stud abgeschlossen vom Heiügtum. Der Bau war voll von Gebräuchen 
und Gebetsresteu, schmutzigen hebräischen Seiten» die auf den Pulten lagen. Die 
schwarze Kavtorsfrau, deren brauuleuchteude Augen weich waren» zeigte zärtlich 
— ihre singende Allweiberstimme erinnerte au Gebete — die alten Rollen und 
sonderbaren Sustrnmente, mtt denen hier Gott verehrt wurde, immer noch der 
selbe jahrtausendealte» unversöhnliche Gott» zu dem ste von brennenden Scheiter 
haufen gerufen hatten. Borne führten steinerne, niedergetretene, zerfressene Stufen 
zu einem Altar. Der war nackt aus Stein gehauen. 
Auf dem Platz vor der Sguagoge war ein kurzes Stück hoch und un 
durchdringlich ummauert. Keine Türe unterbrach das steinerne Biereck. Nie 
mand wollte mir sagen, was sich in ihm befand. 
Die Kirche mit ihrer Pracht goldener, toter Heiliger und der alte Tempel 
aus Holz und Stein waren die beiden Borhöfe, durch die ich in Galizien eintrat. 
A«f dem flachen Platz einer Stadt» au die die Anfänge des Gebirges reichen, 
ist Markt. Bor den geschwungenen Bergliuieu, die sich im ständigen 
Auf und Nieder verlieren und hinten schwach in mächtiger Höhe wiedererscheiuev, 
schreien die Stände von der derben Buntheit der Tücher. Die tragen die Bauern-
	        
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