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3 u der schmutzigen, unmöblierten Gaststube eines einstöckigen Hotels in
2aslo traf ich einen Kaufmann aus Krakau; der trug feine Wareutafche
bewußt wie ein Arzt feine 2nstrumeuteumappe. Sein dunkler Bart war edel.
Gr wußte viel von feinen Vorfahren, und Ruhe ging von ihm aus. Gr er
zählte mir auch die Gefchichte jenes rätfelhafteu eingemauerten Stückes vor dem
alten Tempel in Krakau. Gin großer Rabbi, der vor Hunderten von Jahren
lebte, verbot die Hochzeiten am Zreitag, weil ste meist bis in den Schabbes hin
ein dauerten. Eine Zamilie aber feierte ihm zum Trotz ihre Hochzeit vor ihrem
Haufe am Zreitag. Doch die Gäste und das Paar starben während der Leier
und wurden» wo ste gestorben waren, begraben. Der kleine Kirchhof blieb als
Warnung stehen.
Des Abends gehe ich oft mit einer jungen Jüdin die Gaffen um den
Tempel herum entlang. Lalomea ist nicht groß, hat helle, grüne Augen, die
einen rötlichen und traurigen Schimmer haben. Sonderbar klingt das breite,
klownartige und verbogene Jüdisch-Deutsch mit feinen Gaumenlauten in ihrer
fanfteu Sprache. Sie will stets wißen, wie „es richtig deutsch" heißt, aber ich
sage es ihr nicht. Ich machte einige unangebrachte aufgeklärte Bemerkungen
und wurde, trotz meines guten Gewiffeus» befchämt von dem Blick ihrer uu-
erfchütterlichen Gläubigkeit.
Groß und hoch über die armfeligsteu Hänfer erhob fich am Lude des
Orts die reiche Sguagoge. Auf dem Plateau davor über der Landschaft wan
deln die scharfen Umriffe der Juden. Sie gehen zerriffeu, obwohl sie Geld im
Kasten haben. Sie haben stch von jeher nicht um Kleider kümmern können,
weil ste für die vielen unvorhergefeheneu Zölle immer viel Bar haben mußten.
Dahinter wiegen stch die Höhen im schwermütigen Grün Galiziens. 2ch
steige hinunter nud gehe über die weichen Wiesen. Kuhmädchen stehen darauf»
braun von der Abendsonne und stugeu mit harter Knabenstimme immer das
gleiche Lied, unendlich viele Strophen. Die Zormeu ihrer Brüste und Schenkel
wiederholen stch vergrößert vielfach im Laude hinter ihnen. Gin starker 2uuge
mit schwarzen» fressenden Augen spricht mich au. 2ch soll ihm helfen, ein
kleines» in der Aähe schwer Holz tragendes Mädchen zu vergewaltigen. Gr
dehnt stch und jauchzt» wenn er das gierige Wort ausspricht.
Anmerkung. 2ch glaube, daß diese Schilderung die vorteichafte und die
nachteilige Gigeuschaft der „Impression" hat: die nahe Sichtbarkeit, aber auch die
eventuelle Einseitigkeit. Dem schnell Boröbergeheudeu schält stch der Kernpunkt
des äußerlich Sichtbaren heraus. 2fi Übereinstimmung zwischen ihm und dem
inneren Wesen des Gesehenen, so erhöbe die Impression Anspruch auf uber-
kuustlerische historische Gültigkeit. Es scheint jedoch, als wenn das Leben der Ost-
juden stch in bestimmten Teilen unverhältnismäßig voreutwickelt hat, auseiuander-
fällt, so daß das äußerlich Sichtbare keinen genauen Rückschluß auf die Ganzheit
jener Menschen erlaubt.
Alfred Lemm