»
150
«in Zug herabkam: voran ging eia Chorknabe, der aufrecht wie ein Aren; einen
Deckel trug; es war der Deckel zu einem Sarg» und der Sarg» in dem der Tote
ruhte, war offen. »
Alte und junge Gesichter lagen jo da, mit einem Taschentuch unter dem
Munde, aber sie alle waren gelb, von der Zarbe des verwesenden Todes.
Line fürchterliche Sitte war ans vergangenen Jahrhunderten übriggeblieben,
aber ich entzog mich nie dem Anblick. Man zitterte, aber man ergab sich und
wurde der Erkenntnis teilhaftig. Ans Ekel entsprang das Bewußtsein des Lebens,
ans Trauer die Härte.
So war es recht, so erhielt man ein starkes Sgmbol: die Toten» die durch dir
geschmückten Zranen und die begehrenden Männer getragen wurden; die
Gestorbenen, die eine letzte Warnung riefen, und die Lebenden» die darum chren
Weg zu Vergnügungen» zu Lust» zu gegenseitiger Bosheit und zu Geschäften nicht
abbrachen. Die große Niedrigkeit, die große Abhängigkeit, die große Menschlich
keit. Mich lähmte die Trauer um Rudi, und mit jedem Tage wuchs doch der
Hnnger nach der Iran. Wozu es leugnen, wozu es nicht erleben?
Die Vorstellung von Liebesbegegnnng wurde für alle Zeiten in mir ver
giftet» und ich erkannte doch, daß ste für alle Zeiten in mir nistete» wie ein Bestand
teil des Blutes selbst. 2ch fühlte mich frei der Zrau gegenüber und sah ste mit den
kalten Angen besten an, der ihr bißchen Körperlichkeit durchschaut, und ich fühlte
doch alles» was an ste bindet und bewirkt, daß ste nicht unsere Sklavin, sondern
unsere Gefährtin ist, Mensch wie wir.
Das Leben zersetzte und machte widerspruchsvoll — was lag daran? Nimm
es hin, erdulde es, schwanke und bleibe doch der, der triumphiert.
Wenn Rudi wiedergekommen wäre, wäre ich nicht mehr derselbe gewesen.
Zch hätte ste umfangen» und während ste vielleicht an meine volle Hingabe glaubte,
hätte ich noch über den Angenblick hinaus um die Unaussprechlichkeit des Lebens
gewußt. Auch du, Rudi» wärest nicht dieselbe geblieben, ohne deinen Tod hätten
wir uns vielleicht in Qualen zerfleischt.
Das ist grausam» und doch ist es ein großes Vertrauen, daß ich es dir
Jage — wem sollte ich es sagen, wenn nicht dir, die nun wieder bei mir ist
und neben mir geht? Otto Zlake