Full text: 1914-1916 (1914-1916)

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Glossen und Kritiken 
Der eingebildete Kranke in 
den Kammerspiele v. Durch 
diesen Abend wird die (künstlerische) 
Minderwertigkeit Reinhardts endgül 
tig dokumentiert. Es handelt sich nicht 
mehr um Fehler im Betrieb» im Ge 
schmack» in der Absicht» nicht um Un- 
rulänglichkeit oder Berranntheit (die 
)u bessern wären); die Minderwertigkeit 
liegt tiefer, liegt im Wesen dieses 
Mannes. Hier ist nichts mehr zu 
besser», nichts zu erwarten, nichts ru 
erhoffen. (Solange nicht ein Zufall 
hilft). Reinhardt tut nicht das Zatsche, 
sondern das Richtige (wenn er es tut) 
aus Versehen. Das ist die Erkennt 
nis eines solchen Abends. 
Rur ein völlig falsch eingestellter, ein 
seelisch und geistig verrenkter Mensch, 
was sage ich: Mensch? Lheaterdi- 
rektor Kanu aus dieser menschlichsten 
aller Komödien, vor deren Einfalt und 
Einfachheit man am liebsten in die 
Kaie sänke (aber: „Können vor 
Lacheul" sagten wir früher) — kann 
aus diesem Wunder von Einfachheit 
das leb- und kraftlose Prunk- nud 
Schaustück machen, das Reinhardt 
Berlinern als Moliöre vorsetzt. 
Mau kaun Moliöre (und dies Stück) 
als eine französische Angelegenheit 
nehmen und französisch spielen, das 
heißt: in dem langweilig-charmanten 
Stil, den die Eradition der Eomedie 
vorschreibt. Man kaun auch den 
Franzosen und seine (große) Zeit ver 
gessen und den Menschen Moliöre vor 
allem betonen. Und da alles Mensch 
liche doch tiefer geht als alles Fran 
zösische, da Ewiges größer ist als die 
größte Zeit, — so würde solch eine 
Aufführung (und wenn sie noch so un- 
französtsch wäre) vielleicht sogar die 
beste Aufführung sein. 
Reinhardt gibt keine französische Auf 
führung. Roch viel weniger eine 
menschliche. Er gibt ein Schau- und 
Museumsstück, eine historische Kuri 
osität, eine „literarische Kostbarkeit. 
Mit verlogener Ehrfurcht unter einen 
Glaskasten von Langerweile gesetzt. 
Dabei ist nichts so wenig kostbar, so 
uuliterarisch und »«verstaubt, so wenig 
ehrfnrchtgebieteud wie diese Komödie 
eines — charmanten Genies. Geht mau 
mit Respekt» Wohlwollen, Ehrfurcht 
oder sonst einem unuaiven Gedanken 
au dies Stück, so kaun nichts Gutes 
daraus werden. Spielt aber ein Trottel 
ganz dummdreist, so gut und komisch» 
wie er kaun, dies Stück und seine Rolle 
darin, (etwa wie „Lünnes im Harem" 
oder so), so muß, wenn der Schau 
spieler nicht ganz mittelmäßig ist 
(schlecht darf er lieber sein als mittel- 
mäßig), das Resultat ganz himmlisch 
sein. Komik» Frechheit, Augst vnd 
Einfalt vom „ELuues im Harem" — 
das ist genug. Zür den „Ewigkeits- 
zug" sorgt Moliöre schon. (Und aus 
dem tollsten Ulk würde ein Gransen 
wehen, wie ans Danmiers Spießer- 
Bildern.) 
Reinhardt aber denkt: „Bon wegen 
Poste! Meisterwerk der Weltlitera 
tur!" Er weiß, was er Moüöre 
schuldig ist. Moliöre und dem künst 
lerischen Niveau seiner Bühnen. — 
Halb hob er ihn, halb sank er hin. — 
Die menschliche» die Ur-Welt-Posse 
wird künstlerisch zurechtgemacht, fein 
mit ei, alles „echt im Stil der Zeit", 
und da ste so gar nicht föruehm und 
alt ist, wird sie künstlich verblaßt und 
verstaubt, bis sie so färb- und leblos 
ist, daß ste den stilvollen Nahmen des 
mahagouigetäfelteu Lheaterchens nicht 
mehr sprengt. „Zn einem Kabinett-
	        
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