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Glossen und Kritiken
Der eingebildete Kranke in
den Kammerspiele v. Durch
diesen Abend wird die (künstlerische)
Minderwertigkeit Reinhardts endgül
tig dokumentiert. Es handelt sich nicht
mehr um Fehler im Betrieb» im Ge
schmack» in der Absicht» nicht um Un-
rulänglichkeit oder Berranntheit (die
)u bessern wären); die Minderwertigkeit
liegt tiefer, liegt im Wesen dieses
Mannes. Hier ist nichts mehr zu
besser», nichts zu erwarten, nichts ru
erhoffen. (Solange nicht ein Zufall
hilft). Reinhardt tut nicht das Zatsche,
sondern das Richtige (wenn er es tut)
aus Versehen. Das ist die Erkennt
nis eines solchen Abends.
Rur ein völlig falsch eingestellter, ein
seelisch und geistig verrenkter Mensch,
was sage ich: Mensch? Lheaterdi-
rektor Kanu aus dieser menschlichsten
aller Komödien, vor deren Einfalt und
Einfachheit man am liebsten in die
Kaie sänke (aber: „Können vor
Lacheul" sagten wir früher) — kann
aus diesem Wunder von Einfachheit
das leb- und kraftlose Prunk- nud
Schaustück machen, das Reinhardt
Berlinern als Moliöre vorsetzt.
Mau kaun Moliöre (und dies Stück)
als eine französische Angelegenheit
nehmen und französisch spielen, das
heißt: in dem langweilig-charmanten
Stil, den die Eradition der Eomedie
vorschreibt. Man kaun auch den
Franzosen und seine (große) Zeit ver
gessen und den Menschen Moliöre vor
allem betonen. Und da alles Mensch
liche doch tiefer geht als alles Fran
zösische, da Ewiges größer ist als die
größte Zeit, — so würde solch eine
Aufführung (und wenn sie noch so un-
französtsch wäre) vielleicht sogar die
beste Aufführung sein.
Reinhardt gibt keine französische Auf
führung. Roch viel weniger eine
menschliche. Er gibt ein Schau- und
Museumsstück, eine historische Kuri
osität, eine „literarische Kostbarkeit.
Mit verlogener Ehrfurcht unter einen
Glaskasten von Langerweile gesetzt.
Dabei ist nichts so wenig kostbar, so
uuliterarisch und »«verstaubt, so wenig
ehrfnrchtgebieteud wie diese Komödie
eines — charmanten Genies. Geht mau
mit Respekt» Wohlwollen, Ehrfurcht
oder sonst einem unuaiven Gedanken
au dies Stück, so kaun nichts Gutes
daraus werden. Spielt aber ein Trottel
ganz dummdreist, so gut und komisch»
wie er kaun, dies Stück und seine Rolle
darin, (etwa wie „Lünnes im Harem"
oder so), so muß, wenn der Schau
spieler nicht ganz mittelmäßig ist
(schlecht darf er lieber sein als mittel-
mäßig), das Resultat ganz himmlisch
sein. Komik» Frechheit, Augst vnd
Einfalt vom „ELuues im Harem" —
das ist genug. Zür den „Ewigkeits-
zug" sorgt Moliöre schon. (Und aus
dem tollsten Ulk würde ein Gransen
wehen, wie ans Danmiers Spießer-
Bildern.)
Reinhardt aber denkt: „Bon wegen
Poste! Meisterwerk der Weltlitera
tur!" Er weiß, was er Moüöre
schuldig ist. Moliöre und dem künst
lerischen Niveau seiner Bühnen. —
Halb hob er ihn, halb sank er hin. —
Die menschliche» die Ur-Welt-Posse
wird künstlerisch zurechtgemacht, fein
mit ei, alles „echt im Stil der Zeit",
und da ste so gar nicht föruehm und
alt ist, wird sie künstlich verblaßt und
verstaubt, bis sie so färb- und leblos
ist, daß ste den stilvollen Nahmen des
mahagouigetäfelteu Lheaterchens nicht
mehr sprengt. „Zn einem Kabinett-