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2ch erinnerte schon einmal an die aufrechte Haltung, die Gustave Herve
zu Beginn des Krieges in feiner Zeitung „La Guerre sociale“ einnahm. Richt
nur, daß er in feinen Leitartikeln leidenschaftlich gegen die Schreikrampfe der
uatloualistifchen Presse» den Spionenfang und den Deutschenhaß einer durch
Routiniers aufgeregten Menge anging — in den Redaktiousräumeu feiner Zeitung
eröffnete er ein „Deutsches Konfnlat“, durch dessen Vermittlung Deutsche» Öster
reicher und Ungarn, die in Paris zurückgeblieben waren, geschützt und versorgt
wurden. Deutsche Frauen mit ihren Kindern fanden Aufnahme ln den Familien
französischer Sozialisten. Er ließ ste auch nicht im Stich, als sie in die Kouzentra-
tiouslager abgeschoben wurden, Die „Guerre sociale“, die vor dem Krieg zweimal
in der Woche erschienen war, kam nun täglich heraus und wurde, in kürzester
Zeit, eins der meistgelesenen Organe der frauzöstscheu Presse. Das ist ste bis
heute geblieben. Rur heißt die „Guerre sociale“ feit dem 1. 2auuar 1916
„La Victoire“, und mau kaun nicht daran zweifeln, daß Herve, der früher
die französtfche Fahne auf einem Misthaufen aufpflanzen wollte und als Auti-
militarist radikalster Färbung viele 2ahre feines Lebens im Gefängnis zubrachte,
stch heute die Sgmpathieu der radikalsten Militaristen erworben habe» so sehr,
daß die Zensur ihm zur Zeit der französischen Offeustve in der Ehampagne
die heftigsten Artikel gegen hohe und höchste Offiziere durchgehen ließ, denen
er vorwarf, daß ste ihre Truppen gegen Drahtverhaue schickten, die nicht zuvor
von der Artillerie zerstört worden seien. Diese Artikel durften erscheinen, gleich
zeitig mit denen des rogalistifchen Führers Eharles Maurras, worin vom Militär
kommando die unverzügliche Züstlieruug Hervos verlangt wurde. Die französtfche
Zensur hatte also wenigstens Methode. Als ich, nach langer Zeit, wieder einen
Artikel von Herve lesen konnte, war er „Au eine besorgte Seele“ betitelt und
schloß mit der Aufforderung: „O iuon frere paysan, tu peux tuer ces hommes
avec serenite“. Mein Bruder, du kannst diese Leute, die Deutschen» alle, ohne
Gewisteusbiste töten: mit erhabenem Gleichmut. Richt einmal Karl Liebknecht
findet Gnade vor ihm. Er hat ihn nach allen Seiten gedreht und gewendet, ihn
für unwürdig befunden und verurteilt. Wie das kam? Durch die Euttäufchnug,
die das deutsche Volk im allgemeinen und besonders die Sozialdemokraten ihm
bereiten mußten. Er hat, als früherer Rechtsanwalt, gegen die deutsche Partei
ausführlich mit Rede und Gegenrede, den Prozeß geführt — nicht mehr als der
Sgudikalist» der er ein Leben lang mit rücksichtslosem Mute war, sondern als
Blauquist, zu dem die Ereiguiste und fein Temperament ihn gemacht haben. Sein
Fall ist tgpifch. Vielleicht komme ich dazu, ihn mit der notwendigen Ausführlichkeit
zu schildern.
2ch habe den Manu gekannt. Er ist nicht der Hanswurst» für den so
mancher heutige deutsche Radikale ihn auf den internationalen Kongresteu zu halten