Volltext: 1914-1916 (1914-1916)

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Die drei Hauptströmungen der zeitgeuöMcheu Literatur 
Erste Rede eines Zgklus, skizziert 
^Heiue Damen und Herren. — Literatur wird von müßigen Menschen vom 
Standpunkt der Unterhaltung, von Beschäftigten oft im Sinne der 
Bildung geschätzt. Die Müßigen wollen stch von ihr angenehm beschäfligeu lassen, 
und die Beschäftigten möchten in ihrem Bezirk eine doch nicht ganz zwecklose, für 
spätere» noch unklare Verhältnisse vielleicht sogar förderliche Muße genießen. Das 
junge Mädchen, das zwischen Lgzeum und Verlobung nichts zu tun hat» — der müde- 
gehetzte Kaufmann, der halbtot mit feinem Roman wie mit einem Schlaftrunk 
ins Bett steigt, — über diese und ähnliche Tgpeu kein Wort mehr! 
Kunst erscheint mir nicht als Aatur» gesehen durch ein Temperament, wie 
Zola angab» — sondern als Aatur, umgeformt durch einen Willen. 
Richt Bildung, sondern Umbildung der Welt und unser selbst; — mit einem 
geringeren Ziele als diesem wurde ich Shre und meine Zeit zu verschwenden 
glauben. 
Politik also? — Rein, denn der Dichter und der Politiker unterscheiden stch 
in allem, nur in dem einen nicht: im Willen, die Welt umzuformen. Alles andere 
aber» Material, Methode, Technik, Anlage trennt die beiden im Willen Brüder 
lichen um einen Himmel. Um den Himmel eben, den der Dichter in feinem wachen 
biegsamen Material antizipieren darf, indes der echte Politiker mit Paragraphen 
und soziologischen Experimenten am hartbeschuppteu starren Leib der Wirklichkeit 
mühsam stch abarbeitet. — Dennoch haben beide, Dichter wie Politiker, in ihren 
höchsten Augenblicken dasselbe Bild vor stch, nur ihre Wege stud verschiedene, 
wenn auch dieselbe Sehnsucht auf beiden dahinrast. 
Der Dichter wie der wahrhafte Politiker find nur aus ihrem Ethos zu 
verstehen, das sie vorantreibt, so wie ste es ihrerseits zu weiterer Entwicklung 
treiben. 2ch habe meinen Kurs auf die Besprechung der zeitgeuösstscheu Dichter 
eingeschränkt. Denn nur von ihnen können wir Rechenschaft verlangen in dem 
selben Maße, in dem wir uns selbst vor ein innerstes Gericht ziehen und uns aller 
Greuel, die wir heute erdulden» anklagen und schuldig befinden. Richt in ihrer 
Kunst, in der ste möglicherweise überragende Fertigkeiten entwickeln» fühlen wir 
uns unsern heutigen Dichtern verwandt; wohl aber lagern wir mit dumpfem 
Gefühl ihren Religionen an» dringen da im Kern in ihre Seelen, so wie wir auch 
wieder von ihnen durchdrungen, durchwachsen, dnrchwurzelt werden. — Mit 
schuldige aller Missetaten nenne ich uns alle, und die mindeste Folgerung daraus 
ist es eben, daß wir auch Sachverständige aller Berlrruugeu heißen können.
	        
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