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der größte Ruhende, der größte Vollender, der größte Bleibende. Er war der
größte Moderaut. Er war ein Börger (und wie spricht, während der Kampagne
in Frankreich, der Burgersohu mit Prinzen und Herzögen!).
Kleomber deklamierte, als er nach mir dieses Kriegstagebuch gelesen
hatte, in seinem Bette aus dem Rucken liegend zur Decke: „3ch bitte Euch,
wollet Euch mißtrauisch von ihm fern halten! Er suhlte, maßvollen Schrittes
wandelnd, ein teilnehmendes Staunen, kein Grauen in den schwarz zerklüfteten
Schluchten der Dämonen. Beredsam wurde seine milde Rührung vor dem
Glucke zur Friedlichkeit verdöster alter Ehepaare im gepslegteu Dorse (er roch
veu Mist nicht, aber auch nicht die Erde!). Er ging über die Felder des Krieges;
von ansgeristeueu Leichen wandte er stch ab, um nicht zu schaudern, sah die
Bewegungen der Eruppeumasteu, und alles dünkte ihm interessant. Dann sprach
er gemessen und sreundlich mit dem nun gesesselteu Mörder. Er war maßvoll,
und 3hr nennt ihn groß? Er war sachlich (und sachlich befangen), und 2hr glaubt,
daß er gütig war, oder liebend? Rein, nichts Menschliches war ihm fremd;
aber das Menschliche war es."
Da schwiegen wir. Aber es blieb uns neue Erregung und Schwanken nicht
erspart. Aach wenigen Tagen lasen wir, wie er zuletzt seine Briese schloß: „Und
so fortan" — mit machtvoll in die Sterne geschriebenem Wort — kam es denn
aus seiner Seele, sprach Urmuud durch seine bürgerliche Existenz hindurch in die
Äonen?
Rein, wir hasten ihn. Und Dir, Kleomber, wunder Kamerad, der Du
neben mir im Fieber stöhnst, Dir gelobe ich, unsern Haß zu bekennen. Nichts
mehr von Moderautismus. Er war ein Burger.
„Übrigens" — sagte Kleomber noch — „ist es wichtig für die Naturgeschichte
des deutschen Volkes und der deutschen Geistigkeil, daß es nur eine Goethephilo-
logie gibt, keine Schillerphilologeu. Auch für die Erkenntnis Goethes ist es wichtig.
Was für Kerle waren es doch, die au Schiller gerieten, die paar» die stch um
ihn kümmerten und ihn uns fast verleiden konnten» diese —" und er schloß
atmend mit eittott medizinisch-militärischen Worte. Rudolf Leonhard