Full text: 1914-1916 (1914-1916)

204 
der größte Ruhende, der größte Vollender, der größte Bleibende. Er war der 
größte Moderaut. Er war ein Börger (und wie spricht, während der Kampagne 
in Frankreich, der Burgersohu mit Prinzen und Herzögen!). 
Kleomber deklamierte, als er nach mir dieses Kriegstagebuch gelesen 
hatte, in seinem Bette aus dem Rucken liegend zur Decke: „3ch bitte Euch, 
wollet Euch mißtrauisch von ihm fern halten! Er suhlte, maßvollen Schrittes 
wandelnd, ein teilnehmendes Staunen, kein Grauen in den schwarz zerklüfteten 
Schluchten der Dämonen. Beredsam wurde seine milde Rührung vor dem 
Glucke zur Friedlichkeit verdöster alter Ehepaare im gepslegteu Dorse (er roch 
veu Mist nicht, aber auch nicht die Erde!). Er ging über die Felder des Krieges; 
von ansgeristeueu Leichen wandte er stch ab, um nicht zu schaudern, sah die 
Bewegungen der Eruppeumasteu, und alles dünkte ihm interessant. Dann sprach 
er gemessen und sreundlich mit dem nun gesesselteu Mörder. Er war maßvoll, 
und 3hr nennt ihn groß? Er war sachlich (und sachlich befangen), und 2hr glaubt, 
daß er gütig war, oder liebend? Rein, nichts Menschliches war ihm fremd; 
aber das Menschliche war es." 
Da schwiegen wir. Aber es blieb uns neue Erregung und Schwanken nicht 
erspart. Aach wenigen Tagen lasen wir, wie er zuletzt seine Briese schloß: „Und 
so fortan" — mit machtvoll in die Sterne geschriebenem Wort — kam es denn 
aus seiner Seele, sprach Urmuud durch seine bürgerliche Existenz hindurch in die 
Äonen? 
Rein, wir hasten ihn. Und Dir, Kleomber, wunder Kamerad, der Du 
neben mir im Fieber stöhnst, Dir gelobe ich, unsern Haß zu bekennen. Nichts 
mehr von Moderautismus. Er war ein Burger. 
„Übrigens" — sagte Kleomber noch — „ist es wichtig für die Naturgeschichte 
des deutschen Volkes und der deutschen Geistigkeil, daß es nur eine Goethephilo- 
logie gibt, keine Schillerphilologeu. Auch für die Erkenntnis Goethes ist es wichtig. 
Was für Kerle waren es doch, die au Schiller gerieten, die paar» die stch um 
ihn kümmerten und ihn uns fast verleiden konnten» diese —" und er schloß 
atmend mit eittott medizinisch-militärischen Worte. Rudolf Leonhard
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.