Volltext: 1914-1916 (1914-1916)

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Morgen für Morgen marschierten wir nun nach unserer Wachtstube am Bahnhof 
dnrch die himmelweit geschwellte Frühe, die mir das Her; sprengte, daß es nach 
tausend Seiten offen war. Die Bergsouue schien mir blendend in die halboffenen 
Augen. Die können sich nicht losreißen von dem große« matten Rhgthmus der 
Farben und Linien, die in den grünen aufsteigenden und abfallenden Landrücken 
schwingen. Und ich denke: Rhgthmus ist das früheste Müssen im Menschen — lauge 
bevor Geist erfunden wurde — und er wird ewig am lautesten in der Seele tönen. 
Und wenn die Kameraden wollen, daß „Alles klappt", unwillig sind, wenn einer 
ungleichen Tritt hat, so ist auch dies Hang nach Ahgthmus. 
Oh, diese bräunlichen Höhlen der Güterwagen! Gau; harmlos von außen, 
uns aber verdächtig, durch die vorsichtige Ginfahrt nähern sie sich dem Bahnhof. 
Daun gehen die Arsie entlang und schreibe» mit Kreide an die Wagen, wie viele 
„Schwert auszuladen sind. 
Wenn nur nicht das Hinausheben der Vahren aus dem Wagen wäre! Zwei 
von uns arbeiten in den Waggons, tragen die Bahre bis an die Öffnung. 
Draußen stehen zwei andere und übernehmen die Last auf ihre Handgelenke. Da 
ist es vorgekommen, daß die Hand eines der Abnehmenden ein Sekuudchen 
schwach wurde in dem Augenblick, als wir die Trage losließen. Die eine Seite 
gab unter dem Gewicht des auf ihr Liegenden schnell nach, die Bahre schwankte 
einen Augenblick sehr schief, und unsere Herren standen still. Doch der Kamerad 
hatte bereits uachgegriffen, und die schreckliche Befürchtung löste sich auf. 
Aber in der Nacht darauf hörte ich in meinem Schlaf dev Schrei eines 
Soldaten auf der Trage. 2ch war in allen Berwnudeteu, die fallen gelasieu 
werden könnten. 2u allen Etappeufiationen in Rußland und in Frankreich gaben 
die Handgelenke der Träger ein Kleines nach und es schrie jenen Schrei eines 
fallenden Menschen, der weiß, jetzt, jetzt zerkrachen und zerweicheu seine letzten 
Glieder. 2mmer mehr schrien, in allen Bahnhöfen Deutschlands, wo Berwuu- 
deteuzüge einfahren, auf allen Bahnhöfen Europas gellte es den Schrei uahefier 
Angst, dann vermnigteu sich Me und wurden zu einem einzigen Aufschrei der 
Menschheit vor diesem unsäglichen Kriege. 
Seitdem lade ich zitternd vor Vorsicht aus und trete nur langsam tastend 
in die Wagen, daß ich auch niemanden trete. Diese Augst wurde zuweilen so 
groß, wie man sie vor einem entsetzlichen Briefe hat, vor einem Ereignis, das 
mau als das unaussprechlichste im ganzen Leben befürchtet hat, diese Angst vor 
der Wiederholung jenes Schreies wurde so riesengroß, daß ich des öfteren nicht 
Hand anlegen und den Zuß nicht vorwärts bewegen konnte in das 2«uere des 
Wagens und die Kameraden sich beschwerten, daß ich beim Arbeiten träge wäre. 
Es kommen auch Füge, die bis oben dunkel und dicht verschlosieu sind. Sie 
scheinen voll geladen. Unsere Station ist ein Blutmesser des Schlachtkolosses. 
Seine Anstrengungen und sein Nachlaßen lesen wir an unserem Bahnhof ab. Wir 
sehen, was er au neuer Kraft au sich sicht und das Verbrauchte, das er zurückspeit. 
Wieder werden plötzlich aus der Richtung der Heimat deutsche Rufe 
laut, und mit einem Male ist der Bahnhof voll von singenden grünen Zweigen. 
Die Soldaten liegen an den Öffnungen der geschmückten Güterwagen, aus den
	        
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