Full text: 1914-1916 (1914-1916)

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2 unger Schiller 
Live Vornotiz 
hatleu de« Sturm und Drang entdeckt; historisierendes llberraschtsein 
befiel uns. Bei aller Fremdheit des Rokoko» der peinlich bewußten Kraftgeste 
der „genialischen" Dichter: wir spürten doch Größe. Der heitere Glau; des 
junge« Goethe, die dunkle Wirrnis Leuzens, fein Wahustunstod auf einer Straße 
Moskaus . . wir nahmen diefe Daten ergriffen hin. 
Aber was find diefe geröteten Leidenschaften, die tobenden Worte und 
Szene«? — Der Lau; um den Kraftmenschen? Der Übermut des Lachens? 
Die Verhöhnung des Intellekts? Lst dies nufere Opposition? 
Dieser Studenten Kampf: er vergeudete Intensitäten au Richtigkeiten wie 
ästhetische Gesetze. Shre Leidenschaften waren Triebe, ohne Gegenstände; der 
Primat des Gefühls: schlimmere Reaktion als der verhaßte Rationalismus der 
Aufklärer. Mau wende nicht ein, daß eine Generation stch von den Fesseln 
von Schulmeistern befreite, da ste gegenüber einer vertrockneten Hirullchkeit ihr 
junges Blut pries. Hatte diese Hirullchkeit doch wenigstens Richtung und 
Willen gehabt. Die Propagierung von („reiner") Kraft? Aber das ist ja die 
Hgpertrophie des Ästhetizismus, da Kraft nur ein Mittel ist. 
Zwecke allerdings hatleu die Stürmer und Dränger nicht, aber auch keine 
Ziele. Sie blieben auf ihr Erlebnis beschränkt. Rie waren ste Wisteude. Sie 
waren reicher und heiterer als ihre Widersacher: ste waren Lügend. Sie spürten 
die Erde als stuullche Wirklichkeit und entnahmen ihr Frische und Kraft. Sie 
flohen zu ihr aus Konventionen und steriler Zivillfation (ste fielen auf Rousseau 
dort hinein, wo er am flachsten ist). Doch ste gaben der Erde nichts zurück; 
ste steigerten ste nicht zum Geist. 
Mau wollte die Freiheit — des Dichtens und Empfindens; mau identifi 
zierte Freiheit mit Natur. Das Recht der Perföullchkeit ward gekündet gegen 
den Zwang der Gesellschaft, als desteu Manifestationen mau Staat und Gesetz 
ansah. Mau wies auf die Natur, wo ste am reinsten fei: im Trieblebeu und 
Unbekümmertst«. Aber da ist ja Natur nur wertvoll» wenn ihr Gegner nicht 
Geist ist, sondern Gewalt (also auch Phgstsches). Goethes Götz ist dadurch allein 
mehr als Lbücher Raubritter, dach die Zustände» gegen die er Kämpfen muß, 
miserabel stud. 
Der Rausch dieser Dichter begeisterte uns; er zerwehte, da er substanzlos 
war; es gab keinen Willen. Auw sehen wir den Gegensatz zu jenem deutlich» der 
auch ein Rasender war» aber wußte, weshalb er raste. 
Langer Schiller: zermarterter Löugüug» dem aller Sehnsucht Kampfruf 
auch »Zreihtt" heißt. Auch er ein Glühender hoher Lugend» brausend über die 
Welt gestürzt. Doch er verströmt seine Leidenschaft nicht unnütz; ste ist ihm nicht 
Spiel; er macht ste dienstbar der Ldee. Der Ldee muß die Welt unterworfen 
werden, alles Tierische, alles Menschliche. Ans unseren Gefühlen lasten 
stch keine Heimaten bauen. Schiller steigert sein Erlebnis von der Pri-
	        
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