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vatheit zur philosophischen Allgemeinheit, die Darstellung sozialer Zustände zur
Kategorie des Werts. Aaturseligkeit als Reaktion gegen Nikolaiteutum: ste
ist ihm keinen Schoß Pulver wert» wenn ste nicht zum Geist erhöht.
Dieser „seutimentallsche" Dichter, dieser Philosoph haßt Zeit seines Lebens
den „naiven" Künstler, den ruhenden, empfangenden, erlebenden. Er starrt
nicht auf stch und kaun keine Lgrik schreiben. Er zielt und wirft Brände ans;
die zünden. Empört stch gegen fürstlichen Zwang» jubelt den Geistesrebellen ans
„Welfchlaud" zu und schreibt das ungeheuerste Revolutiousdrama der Welt
literatur. Karl Moor brennt nicht nur, sondern ver—brennt; kein Zerstörer aus
Spieltrieb und ohne Zwecke (wie die putzigen Bakuuisteu des Eafe Stephanie);
sondern einer, der für die Freiheit des Menschengeschlechts kämpft» weil er dessen
Rot am eigenen Leibe erfuhr.
Sauger Schiller: er schreibt einen Zgklus von Dramen (von den Räubern
bis zum Karlos), die das strahlendste Orchester politischen Aufstands stnd. Sie
sind sehend, nicht büud; wissend, nicht dumpf. Sie stnd politisch, listig dem Feinde
auflauernd, auf das reale Faktum bedacht. So wandelt stch die .Freiheit" ab
in aufreizenden Sonderfälleu: soziale Frühst (Räuber); politisch-republikanische
(Fresko); Freiheit der Liebe (Kabale und Liebe); Frecheit des Denkens (Karlos).
Signale für stürmende SSugliuge. Heilige Fahne« des Geistes.
Es gilt nicht ejakuliereuder Leidenschaft, sondern der Tat, zu der Leiden
schaft nur das tüchtigste Mittel ist. Ls gilt Ächt der Erzeugung von Dramen
und Tumulten» sondern der Befreiung der Erde vom Ungeist. Er gilt nicht
der Kunst, sondern dem Leben. Was trennt den Räuber Moor von den Ber-
brecheru der Stürmer und Dränger? Das Bewußtsein der Sendung; der Wille
zur Besteruug der Welt» zur Rache au ihren Schändern. Und Posa» der durch
Worte (durch Worte; hört es) alle irdische Macht so maßlos klein macht: er
ist der Herzog der Literaten, verantwortlicher Ritter des Geistes.
Sunger Schiller: sein Gestcht ist zerklüftet vom Wißen (zur ruhigen Schön
heit des jungen Goethe fehlt ihm ein zureichender Grund). Er strebt in die
Welt; so muß er von der Welt wißen, nicht nur von stch. Er dichtet, er formt
die Wirklichkeit um: aus Tendenz, aus Zukunft. Er wertet, indem er darstellt;
er fordert, indem er Tragödien vollzieht. Er macht das Theater zur moralischen
Anstalt, zur politischen Tribüne.
Die Zeit des jungen Schiller kommt; der seutimentalifche Mensch wird ge
boren: Überwinder der Natur, Gläubiger der 2dee, Analgtiker und Wollender,
Feind jeder Passtvttät. Es kann nicht mehr darauf ankommen, Gefühle zu
haben (mögen auch Bürger vor ihnen schlottern) und Gestalter zu sein; es ist
unwichtig, ein Genie zu f«n. Die Zufälligkeit des Rhgchmus sei verdrängt durch
die Notwendigkeit des Ziels, durch Willen, der stählern und mit Mustk die
Welt an stch reißt. Wir werden Wißeude sein» nicht naiv; wir werden verwirk
liche«, nicht toben; wir werden Politiker, nicht Künstler sein.
Schillers Dichten und Denken stnd Bormarsch in unsere Zukunft. Sener
schwäbische Student, citoyen de la r6publique fran^aise, den wir haßen
sollten, als man Impressionist war: wir werden ihn sehr lieben müßen . . .
Rudolf Kazser