Full text: 1914-1916 (1914-1916)

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geltend machten, zeigt sich ein Bild von solchem weiblichen Liebreiz 
und solcher schwärmerischen Nachdenklichkeit avch des Durchschnitts der 
Männer, daß wir mindestens das Recht des Wunsches haben, in dieser Welt 
den Diapason des deutschen bürgerlichen Wesens zu erkennen. Das war 
damals gewachsen, bunt, anmutig, zart blühend und ganz und gar nicht durstig, 
im schönen Einklang mit der noch völlig agrarischen Landschaft und den kleinen 
spitzgiebligeu Städten. Aber im Innern der Seele zeigt stch alles noch viel 
herrlicher aufgebaut, die Zelseuriffe, engen Gaffen, türkisgrönen Himmel waren 
hier Innenarchitektur der deutschen Seele. Selbst die bösartigste politische Ge 
drücktheit konnte die Menschen nicht verhindern, derart Natur in Natur zu sein. 
Wohl aber brachten die Gröuderjahre, die alles verbrennende, rechnerische Zweck- 
haftigkeit des Bourgeoisdafeius, des reinen Gelddafeius ohne Liebe, Heiterkeit, 
Kindlichkmt, Unbefangenheit, Zähigkeit, das Srratiouale anders denn als Spaß 
und Phantasterei zu genießen und zu werten, jene Ablenkung znm Lbersach- 
lichen Zustande, die nun alles zur Maschine macht und nicht einmal anders wie 
eine Maschine versagt. Dieses, verbunden mit den Rittern, die beständig die 
Hand am Schwertkuauf hielten, des alldeutschen Nuss gewärtig, hat bewirkt, 
daß stch fast keine Unparteiische in der ganzen Welt mehr zeigen wollen, wie es 
denn überhaupt erstaunlich ist, die Zmude so unfähig und erfinduugsarm zu sehen, 
daß ste stch einfach die liberale Parole der letzten Reichstagswahleu zu eigen 
gemacht haben. Und gerade der westlerifche Zug dieser Wahlen neben vielen 
Elementen eines gelösteren Kuustgeistes stimmt damit überein, uns allmählich 
auch in Deutschland romanisches Wesen lieben zu lasten. Und zwar nicht mehr 
wie in den höfischen Züten und dann wieder gemäß der Ablenkung durch die 
große frauzöstsche Malerei einfach als Livree, als artfremdes» obwohl zutiefst 
überlegenes 2deal» sondern so, daß es die eigene Richtung ist, die hier ge 
gangen wird, und letzthin auch das eigene Land, in dem mau ankommt, immer 
noch Deutschland, „Herr Hoffmauu, Student aus Deutschland", das alte ver- 
gesteue, phantastische Reich. Mau braucht den Westen um deutsch zu sein. Mau 
reist nicht so leicht aus dem ersehnten Deutschland fort, es ist überall in der 
Tiefe» in der Buntheit und dem Geist der Buntheit. Mau steht hier Genua 
und Paris, auch Sau Zrauzisko, mau fühlt in stch die blaue Luft und leichte, 
farbige, klingende Mittelmeerkultur wie vom Nordlicht beschienen, und das Ro 
manische im weiteren Sinne selber ist nur ein freundlich, kollegialisch begrüßtes 
Unterwegs, draußen ausgestreckte Arme» Hilfsmittel des eigenen Apriori. Das 
weiß auch das Volk; von dem russtfcheu Menschen in uns misten nur die 3u- 
tellekluelleu» und Rußland wird erst in einer sehr viel unsichtbareren Liefe wirk 
lich, obwohl es dem alten Deutschtum als Hilfskonstruktion noch näher liegt.
	        
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