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ü^/tee ist von je und je empfunden worden: daß unser empirisches
Ich, wie es aus den Stücken der Stunden seine Tage zusammen
setzt, vielfältig, zufällig, dem Schicksal preisgegeben, bloß wirk
lich — daß dies nicht unser ganzes Sein ausmachen kann. Irgend
etwas muß da sein, gleichviel welchen Wesens, das für uns als
Idee, Forderung, metaphysische Mächtigkeit lebt und jenem Zer-
spaltnen, Fragmentarischen Einheit gäbe, Notwendigkeit und Sinn.
Dieses Etwas ist nun aber doch unser eigenes eigentliches Ich, im
Gegensatz zwar gegen jenes empirische Sein, ist unser tiefstes Sein
selbst, und grade weil es in solchen Grundtiefen unter jenem liegt,
befähigt, über ihm zu stehn, als sein Gesolltes, sein Wert und Ideal.
Das „reine" Ich nennt es Fichte, d. h. dasjenige, was wirklich nur
Ich ist, dem nichts Fremdes, Schicksalsmaßiges, bloß Partielles
einwohnt; und dem es Aufgabe ist, das äußerliche, tägliche, so und
so aussehende Ich zu vernichten, indem es durch dieses gleichsam
hindurchwachst; so daß Sittlichkeit ihm nichts anderes ist, als daß
„das empirische Ich vermöge einer unendlichen Annäherung in das
reine Ich zurückgeht".
Das Abstruse verschwindet aus diesem Ausdruck einer ewigen
Wahrheit, indem wir ihre Verwirklichung erleben: in dem Soldaten,
der sich in Freiheit opfert, ist das empirische Ich überwunden und
vernichtet von dem reinen, alles Zufalls und alles äußerlich Be
stimmenden entledigten Ich. Und dieses ist, wie es Fichte verlangte,
nicht eine einseitig charakterisierte, zufällig so und so gefärbte In
dividualität, sondern, obgleich und weil der tiefste Grund der
Persönlichkeit, ein Übereinzelnes, in der gleichen Wurzelschichr eines
Jeden -Lebendes. Denn wie sollte es kein Allgemeines sein, wie
sollte es die bloße Individualität nicht übergreifen, da es sich mit
seinem Opfer doch Ln das Allgemeine grade einfchmilzt und auflöst?
Was man von den Rämpfern unzähligemal hört und was auch
unausgesprochen als ihre seelische Verfassung hervorleuchtet: ein
völliges Sich-selbft-Vergessen und zugleich ein unerhört gesteigertes
Gefühl seiner selbst — ist die Verwirklichung jenes Fichteschen Bildes
der „Sittlichkeit". Im „reinen Ich" vollzieht sich das Wunder, daß
der tiefste Rern der Persönlichkeit Eines ist mir einem Allgemeinen,