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Kubismus von der Idee einer anderen Realität ausging und
behauptete, die mathematischen Begriffe seien die einzigen
Werte, auf die'sich die Welt der Dinge, der Weiber, Tische
und des Patzenhofer Bieres zurückführen ließen, sprach der
Expressionismus nur von einer vagen Verinnerlichung.
Während man also den Kubisten zumindest die Achtung
der gedanklichen Konsequenz nicht versagen konnte, be
frachtete man die anatomischen Verzerrungen der Ex
pressionisten mit jener Ratlosigkeit, die man vor der Halb
heit der meisten deutschen Kulturäußerungen hat. Die
Kubisten wollten eine Idee verwirklichen, die Expressio
nisten tasteten nach einem Tabernakel der Weltfremdheit,
sie suchten Mystik, waren erfüllt von einem Gefühl, fahn
deten nach einer neuen Religion und wiesen, zu Beweisen
gedrängt, nach der Gothik, die sie eine Kunst der Gott
seligkeit und des Willens nannten. In anderen Worten:
der Expressionismus war eine mit der Fassade der Kunst
geschickt aufgemachte Müdigkeit, ein Ausweichen vor den
Dingen, ein Verkriechen vor den Peitschenhieben des Ge
schicks. Expressionismus in Deutschland zur Zeit des Krieges,
bedeutete Vorschieben des (sogenannten) Geistes, nachdem
man einzusehen begann, daß die Gewalt Bankerott gemacht
hatte. Wenn man in Deutschland militärisch am Ende ist,
wird das deutsche Gemüt aus der Abfallkiste hervorgeholt,
frisiert, parfümiert, kostümiert und einer erstaunten Mit
welt als die stets vorhanden gewesene deutsche Denkungs
art präsentiert. Ach die guten harmlosen Deutschen. Zur
Zeit einer sogenannten nationalen Schmach wachsen bei
ihnen die großen Männer an jeder Straßenecke, alle Nobel
preise wandern nach Deutschland und die stärkere Vitalität
des deutschen Geistes zeigt sich erstmal darin, daß sich die
Zahl der Zeitschriften verdreifacht. Diesen Geist, der hier
propagiert wird, muß man sich genau von oben bis unten
und von hinten und vorn ansehen, um zu begreifen, daß er
ein Wechselbalg ist, daß er der berühmten Gemütlichkeit
gleicht, die mit dem Goetheband in dem Tornister Men
schen auf Bajonette spießt, eine Farce für Kinder, ins
gesamt die Kultur, d. h. eine Verdrängungserscheinüng