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der ersten sozial war. Die Revolution stellt nach wie vor die
Seele der Kassäkschen Dichtung dar, aber als Thema verschwindet
sie völlig. Hand in Hand mit dieser Wendung vollzieht sich eine
Revision seiner Auffassung über Kunst, und eigentlich ist ja auch
die Entpolitisierung seiner Kunst eine selbstverständliche Folge
dieser Revision. Wir wollen im nachstehenden ohne Anspruch auf
Vollständigkeit eine kurze Darstellung des auf diesem Wege ge
wonnenen Standpunktes versuchen.
Kassäk kehrte zu sich zurück. Er trat aus dem Kreise der
thematischen Dichtung heraus und stellt den Versuch einer reinen
Kunst an, die jedoch mit der l’art pour l’art, mit ihrer aller Realität
entrückten Weltfremdheit, mit ihrer Lebensflucht nichts zu tun hat.
Kassäks reine Kunst bedeutet im Gegenteil nicht mehr und nicht
weniger als die Erhebung des Kunstwerkes zum
selbständigen Leben. Das Gedicht büßt das Thema, den
zufälligen Inhalt ein, erlangt aber dafür ein inneres Leben, das an
und für sich erlebt wird und auch begriffen werden muß, anstatt
der Abglanz eines fremden Lebens zu sein. Alles, was da ist, ist
primär und kategorisch, denn das Sein selbst ist auch primär und
kategorisch. Aber das Kunstwerk hatte bis jetzt kein eigenes Da
sein: es war sekundär, denn es kam um eines Zweckes willen zu
stande, wo doch jedes Sein Selbstzweck ist, und es war im gleichen
Maße hypothetisch, denn es hat nie sich selbst, immer ein anderes
bedeuten sollen. Das Kunstwerk als selbständig Seiendes und
Wirkendes zu gestalten: das ist die große Möglichkeit, die Kassäk
in Tat umsetzen will. Daß er nicht allein auf die Suche nach dieser
neuen Kunst ausgezogen ist, ist ohneweiters einleuchtend. In den
Werken seiner dritten Periode, der auch die in diesem Buche mitge
teilten Gedichte insgesamt gehören, sind Züge enthalten, die die
Wirkung Guillaume Apollinaires und der radikalen Dadaisten nicht
verkennen lassen. Aber ihm bedeutet der Dadaismus nur eine Er
weiterungsmöglichkeit, dem Dadaismus, der gleich anderen Mode
richtungen in Schule entartete, steht er meilenweit fern. Seine
Dichtungen sind dementsprechend nicht dadaistisch, aber die
pathetischen Gesten der früheren Periode lösten sich in ihnen auf.
Eine kurze Zeit lang stand er allerdings im Banne der so gründ
lich dadaistischen Verneinung, die bittere Grimasse des Skeptikers
zog durch sein Schaffen, aber Kassäk der Künstler überwand
Kassäk den Menschen, und bald erklingen in seinen Dichtungen die
Töne eines wiedererlangten Glaubens, der seine Kunst zum
zweitenmal erfüllte. Nur ist dieser Glaube diesmal nicht so einfach
beim Namen zu nennen wie die sozialistische Weltanschauung der
politischen Periode. Der neue Glaube hat noch keinen Namen und
wird solange nicht beim Namen genannt werden, als der neue
Mensch nicht erscheint, dem er angehören wird. Und er wird nur er
scheinen, wenn der in Passivität gedrängte revolutionäre Mensch
sich noch einmal die Möglichkeit der Aktion errungen haben wird.
Kassäks neue Gedichte sind die typischen Kunstwerke dieser Über