Volltext: Jahresbericht 1910 (1910)

2 
Jahresbericht 1910 der Zürcher Kunstgesellschaft 
35 
zetreulich und mit viel Eifer. Es wird versichert, er habe stets das Pathetische, Herz- 
-ührende bevorzugt, Stoffe, die Auge und Gemüt mit Bestürzung und Schrecken erfüllen. 
Im Verzeichnis seiner verschollenen Bilder begegnen uns nur Schlachten, Feuersbrünste, 
Seestürme, Plünderungen, nächtliche Schreckenstaten, Katastrophen aus der biblischen 
und der alten Geschichte. 
Die Vitrinen im Bibliothekvorraum (BI, Schrank II und III) zeigen ein Dutzend 
seiner Zeichnungen: Kriegsleute mit Schlapphut, Stulpenstiefeln und Schärpe; einen 
Kantor oder Kapellmeister am Pult, mit einem Kater, der ihm um die Waden schmei- 
;helt; «Risse» für Glasgemälde oder andere kunstgewerbliche Verwendung, heraldische 
und allegorische Vorwürfe. In einem solchen, der Darstellung von Geduld und Demut 
in Unbill, zeigt sich Füssli besonders deutlich als Schüler seines frühesten Lehrers, 
des Zürcher Meisters Gotthard Ringgli; auch er erläutert seine Gleichnisdarstellungen 
durch etliche lehrhafte Sprüche wie Ringgli seinen «Spiegel der Geduld», der gegen- 
wärtig die Rückwand von Raum BIIT ziert. Die Soldatenfiguren sind wohl Studien zur 
Aneignung von «Callotens Manier», in der der Künstler sich erfolgreich betätigt haben 
soll. An Jacques Callot erinnern die Umrisse; die Kühnheit der Bewegung, all den 
Glanz und die Grandezza der posierenden und bramarbasierenden Soldaten und Strassen- 
-äuber Callots sucht man bei Füssli umsonst, seine Figuren sind vom gleichen breitspurig- 
zutmütigen Schlag der Bannerträger und Säckelmeister auf den Schweizer Glasgemälden 
des 17. Jahrhunderts. Eine gewisse Derbheit ohne grosse seelische Kompliziertheit spricht 
auch aus dem sehr lebendigen Selbstbildnis des Künstlers, mit gequetschter Nase, unglaublich 
breitem Mund, struppigem Bart und Schnurrbart, langem ungelocktem Haupthaar. (Tafel IL.) 
Zu diesem Gesicht und dieser wohlgemeinten, aber doch etwas schwerfälligen 
Kunst passt durchaus eine Anekdote, wie sie über des Künstlers Arbeitsweise über- 
liefert wird: «Als er auf eine Zeit ein Gemähld in der Arbeit hatte, wo er in ge- 
wissen Figuren die äusserste Bestürzung, Furcht, Schrecken und Entsetzen ausdrücken 
sollte; und ihm aber seine ersten Versuche bei weitem nicht Genüge taten, fiel er auf 
eine seltsame Erfindung, um seine Imagination recht anzufeuern. Er nahm einen grossen 
Schweizerdegen von der Wand, zückte ihn und lief mit einer verstellten rasenden Wut 
in das Nebenzimmer, wo seine Schüler, deren er damals eine ziemliche Anzahl hielt, 
beieinander über ihrer Arbeit sassen. Er tummelte sie eine Weile in dem Zimmer herum, 
and weil sie nichts anders glaubten, als dass er sie alle im Ernst zusammenhauen wollte, 
30 ist leicht zu erachten, dass sich in ihren Mienen und Geberden Bestürzung, Furcht, 
Angst und Schrecken auf das lebhafteste werden ausgedrückt haben. In dieser Situation 
betrachtete er sie sehr genau, hiess sie hernach wieder guten Mut fassen, und entdeckte 
ihnen die Absicht dieser verstellten Execution.» Dies alles, um seine offenbar zuweilen 
nicht ganz leicht arbeitende Einbildungskraft «in die erforderliche Wirksamkeit und die 
vehörigen Grad des Malerischen Enthusiasmi zu versetzen». 
Johann Melchior Füssli (1677-1736), ist vorzugsweise Illustrator, ein fleissiger, 
Joch sehr trockener Kupferstecher. Sein gestochenes Werk wird gelegentlich in den 
Vitrinen der Bibliothek zur Ausstellung gelangen. Gegenwärtig finden sich von ihm in 
Schrank a eine barock gestellte «Luna» in Rötel, ein Epitaph auf einen Bürgermeister 
Escher und eine kleine Vignette in Federzeichnung.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.